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Scania Touring: Touring: Auf gutem Kurs

24.04.2011 11:06 Uhr
Scania Touring: Touring: Auf gutem Kurs
© Foto: Sascha Böhnke

Endlich kann der Scania Touring auch in Deutschland geordert werden. Seit seiner Weltpremiere vor knapp zwei Jahren in Kortrijk wurde viel über das schwedisch-chinesische Fahrzeug spekuliert, nun endlich hatte die ­OMNIBUSREVUE Gelegenheit, diesen recht interessanten Bus zu testen. Dabei gingen wir kritisch zur Sache.

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Anfang April dieses Jahres war es endlich soweit: Scania schickte den Touring zum Supertest nach Berlin. Endlich deswegen, weil wir es kaum erwarten konnten, selbst zu erfahren, wie sich dieses europäisch-asiatische Produkt in der Praxis schlagen würde. Spekulationen gab es reichlich, kein Wunder, fast zwei Jahre von der Vorstellung bis zur Vorfahrt beim Händler sind schon eine lange Zeit. Dabei war es ein echter Überraschungs-Coup, der Scania da gelang: Ein vollwertiger Reisebus für einen Preis, der schon fast unverschämt günstig schien, dazu mit allen typischen Scania-Komponenten, die den Bus zu einem fast vollwertigen West­europäer machen. Kann das gut gehen? Doch der Reihe nach. Scania lässt den Bus beim ­chinesischen Bushersteller Higer fertigen. Higer wurde 1998 in Schanghai gegründet, ist also noch ein sehr junges Unternehmen. Dafür ist seine Fertigungskapazität bereits erstaunlich hoch. 16.900 Busse wurden 2008 von insgesamt 400 Mitarbeitern produziert. Seit 2007 gibt es eine spezielle Scania-Fertigungsstraße mit einer Kapazität von 3.000 Fahrzeugen. 150 Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um die Scania-Produktion, für 2011 sind 100 bis 150 Touring angepeilt, ab 2012 sollen zwischen 300 und 500 Scania-Busse das Werk verlassen. Die Kooperation begann mit der Lieferung von Scania-Fahrgestellen an verschiedene chinesische Aufbauhersteller. Dabei konnte sich Higer als kompetenter Partner qualifizieren, mit dem Scania den Touring ­realisierte, einen Reisebus für den klassischen Fernlinien- oder einfachen Reiseverkehr, der durch Standardspezifikationen preisbewusste Unternehmer ansprechen soll, verbunden mit entsprechend kurzen Lieferzeiten. Ausdrücklich will sich der Scania Touring nicht im ­gehobenen Reisebus-Segment positionieren, hier setzen die Schweden auf den Irizar PB und den Irizar i6. Äußerlich demonstriert der Scania Touring deutlich wie kein anderes Produkt vor ihm die Zugehörigkeit zur Scania-Familie. Die Front erinnert sehr stark an die Lkw-Range von Scania, entsprechend männlich markant kommt der Bus vorgefahren. Das Design basiert übrigens prinzipiell auf einem Higer-Fahrzeug, welches ein Scania Design-Team um den Chef Kristofer Hansén weiterentwickelt hat. Entsprechend sieht man dem Bus in keinster Weise seine fernöstliche Herkunft an, ganz im Gegenteil, der Touring verkörpert Scania-Kraft vom Feinsten. Das gilt auch für das Heck, das sehr bullig wirkt. Lediglich die ein wenig lieblos aufs Dach gesetzte Klimaanlage verrät dem Fachmann die preissensible Strategie, die hinter diesem Bus steckt. Und genau die macht ja den Touring zu etwas ganz Besonderem. Knapp 240.000 Euro für einen knapp 14 Meter langen Dreiachser, dessen wichtige inneren Werte von einem namhaften Hersteller stammen, machen neugierig. Wo ist der Haken? Gibt es vielleicht gar keinen? Das wird unser Test klären.
© Foto: Sascha Böhnke

Innenraum: Saubere und klapperfreie Verarbeitung, kleine Unzulänglichkeiten

Der erste Eindruck beim Betreten des Busses ist „nasaler“ Natur. Es riecht nämlich sehr streng nach Kunststoff. Da beschleicht den Tester ein leicht mulmiges Gefühl – hoffentlich sind die Dämpfe bald verschwunden. Der Innenraum selbst dann macht auf den ersten und auch auf den zweiten Blick einen völlig normalen, standardisierten Eindruck. Die Sitze sehen ­bequem aus – sie stammen aus chinesischer Fertigung – und bieten tatsächlich auch guten Seitenhalt für den Rücken. Schade ist nur, dass sich die Sitze nicht in den Mittelgang verrücken lassen. Platz genug wäre ja. Schade auch, dass es keine Tische an den Rücklehnen gibt – die sind bisher auch nicht vorgesehen. Lediglich ein Getränkehalter bietet Platz für den Kaffee­becher. Der Touring besitzt einen klassischen Mittelgang mit Podesten, ungewöhnlich ist aber, dass die Sitze nicht auf Schienen befes­tigt, sondern direkt im Boden verschraubt sind. Hat sich der Unternehmer bei der Be­stellung einmal auf ein Sitzraster festgelegt, war’s das. Griffe an den Sitzlehnen sind übrigens ebenfalls Fehlanzeige, den Bus auch im Überland-Linienverkehr einzusetzen, wird schwierig. Das Bord-WC ist serienmäßig, die Küche aber nicht. Wer sie haben möchte, hat nur die Möglichkeit, eine Mini-Küche von TM zu bekommen. Hierbei teilen sich ein von oben befüllbarer Kühlschrank und ein kleiner Bereich für Kaffeemaschine und Waschbecken den ohnehin eng bemessenen Platz. Leider konnte der OMNIBUSREVUE-Tester keinen Blick auf die Küchenzeile werfen, das Schloss der Abdeckplatte davor wollte sich nicht öffnen lassen. Abgesehen von solchen kleinen – aber ärgerlichen – Unzulänglichkeiten überzeugte der Innenraum durch eine sehr saubere und klapperfreie Verarbeitung. Selbst die berüchtigten Kopfsteinpflasterstraßen der sächsischen Schweiz ließen den Bus zwar erzittern, nicht aber erklappern. Wie hart es zur Sache ging, ließ sich lediglich an den Außenspiegeln ablesen, die deutlich vibrierten. Die Spiegel übrigens lassen sich weder anklappen noch abnehmen, das kann in Waschanlagen zu Problemen führen. Ganz zu schweigen davon, was passiert, wenn dem Fahrer auf großer Tour ein Spiegel abgefahren wird. Das Gepäckraumvolumen beträgt sechs Kubikmeter. Damit lässt es sich gerade noch leben. Wirklich üppig aber geht anders. Dafür begeisterte der Touring mit seinen pneumatisch betätigten Kofferraumklappen. Per Knopfdruck am Armaturenbrett oder über die mit­gelieferte Fernbedienung können die linke und die rechte Seite separat, Klappe für Klappe bedient werden. Dabei fiel ein spezielles Feature auf: Sind die Türen und oder die Klappen geöffnet und der Fahrer löst den Federspeicher, schließen diese automatisch, ein Abfahren mit offenen Türen ist so unmöglich – das ist ein wirklicher Pluspunkt in Sachen Sicherheit!
© Foto: Sascha Böhnke

Große Teile des Cockpits stammen aus der Lkw-R-Baureihe

Bei der Sicherheit gibt sich der Scania Touring keine Blöße, ESP ist serienmäßig verbaut, lediglich einen Abstandsregeltempomaten oder einen Spurassis­tenten gibt es nicht. Gut gelungen ist der funktionelle Bereich des Fahrerarbeitsplatzes. Kein Wunder, große Teile des Cockpits stammen aus der Lkw-R-Baureihe und sind somit tausendfach erprobt. Ein Zentraldisplay in der Mitte zwischen den Rundinstrumenten in­formiert per Knopfdruck auf dem Lenkrad über unterschiedliche Betriebszustände oder schlägt Alarm bei besonderen Situationen. Das Ganze ist eingepasst in ein leicht geschwungenes Kunststoff-Kleid, dessen Verarbeitung ebenfalls stimmt. Allerdings wirkt der Monitor der Rückfahrkamera ein wenig zu dunkel. Eine Fahrertür gibt es nicht. Schade ist, dass es so gut wie keine Ablagemöglichkeiten für den Fahrer gibt. Das ist für einen Reisebus nicht mehr zeitgemäß. Doch hat der Fahrer seinen Unmut über diesen Umstand erst einmal heruntergeschluckt, kann er sich an der Bedienung und am Handling des Touring erfreuen. Hier stimmt alles. Die Lenkung wirkt zwar recht straff, aber angenehm direkt. Das Zwölfgang-Getriebe wird mit dem automatisiertem Scania Opticruise betätigt. Das war schon immer eine Wucht und ließ uns auch im Touring nicht im Stich. Aufgefallen ist uns zudem, dass Scania endlich auf das bisher nötige Kupplungspedal für den Anfahrvorgang verzichtet hat. Manuell lässt sich per Lenkstockhebel eingreifen – Wippe nach oben oder nach unten und die Gänge fallen wie gewünscht. Das ist auch gut so, denn in kritischen, bergigen Situationen muss man schon vorausschauend manuell eingreifen. Gut gefallen hat uns die Berganfahrhilfe: Es gibt einen Schalter, der sich umlegen lässt, dann hält der Bus den Bremsdruck für zirka drei Sekunden. Zusätzlich informiert das Display optisch und akustisch unmittelbar vor dem Lösen der Bremsen. In der Praxis funktionierte das ausgezeichnet. Eine Sache aber fiel uns dennoch auf: Mehrfach setzte der Touring mit den Kufen auf der Fahrbahn auf, was aber mitnichten eine Ursache in zu forscher Fahrweise hatte – bisher hatte kein Testkandidat derartige Probleme – sondern möglicherweise auf sehr tief reichende Kufen zum Schutz der sich weit nach unten erstreckenden Türführung vorn zurückzuführen ist. Insgesamt neigte der Touring zum leichten Aufschaukeln bei langen Bodenwellen. Im Heck des Testbusses arbeitete ein Scania-Aggregat mit 440 Pferdestärken und einem Drehmoment von 2.300 Nm. Das ist ordentlich und das spürt man auch am Berg, wenngleich der schwer beladene Bus ordentlich zu kämpfen hatte. In Sachen Verbrauch dürfte der dreiachsige Touring eine gute Figur machen. Pech allerdings am Testtag war das extrem stürmische Wetter mit permanentem Gegenwind gerade auf den langen Autobahnetappen, das den Gesamtverbrauch auf 31 Liter/100 Kilometer ansteigen ließ. Hier dürfte noch einiges an Sparpotenzial vorhanden sein. Ein wenig ärgerlich dagegen ist die Sparpolitik beim Touring, schaut man sich den Fahrersitz an. Der kommt von Isringhausen und besitzt zwar eine Sitzheizung, Armlehnen aber sind nicht drin beziehungsweise dran. Einen Punkt gibt es übrigens, an dem könnte man spitzzüngig festmachen, dass dieser Bus aus Fernost stammt: Nämlich der sehr, sehr knappen Beinfreiheit am Begleitsitz. Langbeinige Europäer werden Probleme bekommen. Hier fehlt zudem eine Schreibunterlage und eine ­Arbeitsleuchte. Optisch robust wirken der ­Innenraumspiegel und die altbackenen Alu-Führungen der elektrisch betätigten Rollos.
© Foto: Sascha Böhnke

Solides Grundprodukt, guter Preis

Eine gemischte Figur gibt der Touring beim Thema Licht ab. Das kann wörtlich genommen werden. Denn LED-Leuchten und herkömmliche Glühlampen sind munter miteinander gemischt, was beispielsweise bei der Treppenbeleuchtung auffällt. Schön sind die Xenon-Scheinwerfer, ein Abbiegelicht sucht man vergebens. Und unbedingt sollte man sich auf dem Betriebshof die Anleitung zu Gemüte führen, die auf mehreren Seiten erklärt, wie die diversen Leuchtmittel an der Front zu wechseln sind – intuitiv geht anders. Was aber gar nicht geht, ist die Spiegelung der Mittelgang-Beleuchtung in der Frontscheibe. Das blaue, ein wenig grell wirkende Licht der Mittelgang-Beleuchtung sorgt schon nach kurzer Fahrt im Dunkel für Kopfschmerzen und ­unnötige Seh-Anstrengungen. Was bleibt, ist dennoch ein positiver Gesamteindruck. Zwar geht beim Scania Touring vieles über den Preis, doch das Grundprodukt ist solide. Die meisten der festgestellten ­Mängel dürften sich mit wenig Aufwand beseitigen lassen. Dann bekommt man einen Reisebus, der nicht nur aussieht wie einer, sondern der auch alle nötigen Gene mitbringt. Dafür sorgt schon die grundsolide Scania-Basis. Higer hat ins-gesamt eine gute Arbeit abgeliefert. Laut ­Scania braucht man sich auch beim Thema Ersatzteile keine Gedanken zu machen, sämtliche Teile sind in einem zentralen Ersatzteillager in Belgien vorrätig und können in kürzester Zeit zum Kunden oder in die jeweiligen Werkstätten gebracht werden. Nun ist es am Touring, sich in die Herzen der Unternehmer zu fahren – sich auf dem harten westeuropäischen Markt zu behaupten, erfordert schon einiges an Durchhaltevermögen. Doch wir sind überzeugt, das kann was werden. Unser Urteil: Ohne Frage: Der Scania Touring ist ein sehr interessantes Fahrzeug. Ausgezeichnet ist das gesamte Chassis, die Fahreigenschaften entsprechen voll und ganz Scania-Standards. In diesem Bereich müssen keinerlei Abstriche befürchtet werden. Das gilt auch prinzipiell für die gesamte Verarbeitungsqualität, die durchweg gut ist. Lediglich im Detail sollte der chinesische Aufbauer noch genauer hinschauen, dann gibt es auch weniger Grund, um sich über solche Kleinigkeiten zu ärgern. Kopfschmerzen bereitete uns der durchdringende Kunststoffgeruch im Inneren und schade ist auch, dass es kaum orderbare Extras gibt. Auswahlmöglichkeiten hat der Unternehmer bei der Sitzbepolsterung, bei der Bestellung einer Küche oder der Sitzplatzanzahl. Doch wer mit dem klassischen Bus von der Stange leben kann, dürfte sich mit dem Touring anfreunden. (sab)
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