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Otokar Vectio T: Überraschung Vectio T

03.06.2013 10:26 Uhr
© Foto: Sascha Böhnke

Ausländische Bushersteller haben es in Deutschland nicht leicht. Die Konkurrenz durch Mitbewerber wie Daimler oder MAN ist erdrückend, freiwillig will niemand zurückstecken. Und dann kommt Otokar mit einem zehn Meter langen Reisebus. Solch ein Bus ist kein Massenprodukt, aber er ist geeignet, Größe zu beweisen.

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Es ist häufig der erste Eindruck, der zählt. Beim Vectio T ist der eine echte Überraschung. Denn was da vorfährt, scheint ein vollwertiger Reisebus zu sein, ein Fahrzeug, dessen Proportionen stimmen, das die Schulklasse genauso willkommen heißt, wie die Geschäftsetage anspruchsvoller Unternehmen. Nur selten gelingt es einem Bushersteller oder -aufbauer, ein Fahrzeug im Midibereich so stimmig zu gestalten, wie im Fall des Vectio T. Die Front wirkt sachlich betont, verchromte Schwingen über den punktförmigen Scheinwerfern wirken wie freundliche Augenbrauen, die sich dann gekonnt über die A- und B-Säule nach oben schwingen, um ihre Fortsetzung in der oberen Seitenfensterlinie zu finden. Zugegeben, diese Idee haben auch schon andere Designer gehabt, sie wurde oft kopiert, beim Vectio T aber ist diese Idee glaubwürdig und eigenständig umgesetzt worden.

Der Bus ist zehn Meter lang und 3,26 Meter hoch. Dazu passen die kleinen Räder recht gut, deren Radstand von fünf Metern das Optimum in Sachen Fahrkomfort bei Bussen dieser Größenordnung herausholt. Gefertigt wird der Vectio T von Otokar in der Türkei, nicht weit von Istanbul entfernt. Otokar zählt auf dem heimischen Markt zu den ganz großen Busherstellern. Der Schwerpunkt liegt in der Fertigung von Stadt- und kleineren Überlandbussen. Dass Otokar aber auch beim Thema Reise-Midi mitsprechen kann, zeigt der Vectio T. Unter seiner stimmigen Schale steckt ein selbsttragendes Gerippe aus Stahlprofilen. Diese werden durch eine Vollverzinkung gegen Korrosion geschützt, auf ein KTL-Bad oder Edelstahl wird verzichtet, dafür versicherte ein Otokar-Vertreter, dass während des Produktionsprozesses penibel auf das Thema Qualitätssicherung eingegangen werde, was beispielsweise bedeute, dass das Gerippe in korrosionssensiblen Bereichen nach der Verzinkung nicht mehr durch Bohrungen beschädigt werde. Otokar Deutschland-Berater Martin Scharrer weiß, wie sensibel deutsche Buskunden beim Thema Korrosion sind. Entsprechend werden solche, aber auch weitere wesentliche Themen beim Hersteller platziert. Denn die Blickwinkel türkischer und deutscher Busunternehmer könnten unterschiedlicher kaum sein. Während es in Südeuropa auf eine prinzipielle Funktionstüchtigkeit ankommt, verlangt der hiesige Kunde einen größtmöglichen Feinschliff. Dass dann gelegentlich Welten aufeinanderprallen, kommt zwar vor, doch immer lässt sich auch eine Lösung finden. So wurde der Vectio T 2009 für den türkischen Markt entwickelt und später für Westeuropa deutlich aufgewertet. Ein Beispiel ist das Thema Belüftung/Heizung. Kam es anfangs gerade bei feuchtem Wetter noch häufig zu einem Beschlagen der Frontscheiben, stattet Otokar nun alle Busse mit einer Frontscheibenheizung aus. Auch wurde die Klimaanlage vergrößert und im hinteren Türbereich ein Heizlüfter verbaut.


Otokar Vectio T

Otokar Vectio T Bildergalerie

© Foto: Sascha Böhnke

Verarbeitungsqualität ist gut, Cockpit hochwertig gestaltet

Der äußere Eindruck des Vectio T kann überzeugen. Gilt das auch für den Fahrgastraum? ­Absolut, denn aus kleinem Raum hat Otokar das Optimum herausgeholt. Es ist alles da, was man für die kurze oder lange Reise benötigt. Bequeme Sitze, die in der Türkei gefertigt werden, mit recht hochwertigem Polster von Schöpf. Wer die Sitzprobe macht, wird feststellen, das Gestühl ist nicht nur ausreichend breit, es verfügt auch über einen erfreulich guten Halt für den Rücken. Natürlich lassen sich die Fahrgastsitze auch zum Mittelgang ausfahren. Eine Fußstütze, leicht bedienbare Armlehnen und ein abklappbares Tablett gehören ebenfalls zum Standard für die Westeuropa-Ausführung. Jeder Platz verfügt über ein Serviceset mit Düsenbelüftung, Serviceruf und Beleuchtung. Auch das stammt von türkischen Zulieferern – was im Übrigen auch überraschend häufig bei einheimischen Herstellern der Fall ist. Die Sicht nach vorn und zur Seite ist nicht besonders erwähnenswert. Das liegt im Wesentlichen daran, dass der Bus nur etwa 3,50 Meter hoch ist, viel Platz für große Scheiben bleibt da nicht. Hier würde ein Glasdach sicher eine interessante Option bieten, doch so etwas haben bisher fast nur Premiumanbieter im Programm. Wesentlich störender als eine subjektiv zu geringe Aussicht ist da eher das Geräuschniveau im Inneren. Bei bestimmten Geschwindigkeiten – wohlgemerkt nicht bei allen – dröhnt es relativ laut. 68 dBA bei Tempo 100 vorn und knapp 71 dBA hinten sind kein guter Wert für einen Reisebus. Meist sind es mehrere Faktoren, die unangenehme Geräusche verursachen. Das dürfte auch für den Vectio T zutreffen. Als Hinterachse vewendet Otokar eine Dana-Achse. Die ist per se nicht schlecht und wird auch von anderen Busbauern verwendet. Und den MAN D08 kennt man als durchaus ruhigen Zeitgenossen. Deswegen hat Otokar dem Thema Geräuschdämmung bereits einen hohen Stellenwert eingeräumt und ist hier auch noch nicht am Ende der ­Fahnenstange angelangt. Die Verarbeitungsqualität des Vectio T ist gut. Nirgends finden sich beim Testbus größere Spaltmaße, auch ein kritischer Blick entlang der Seitenwand offenbart keine Schwächen. Das Cockpit ist ausgesprochen hochwertig ­gefertigt, kein Wunder, in der Türkei sitzen wahre Meister der Kunststoffformung. Entsprechend wirkt der Fahrerarbeitsplatz wie aus einem Guß. Was da allerdings nicht so recht passend erscheint, ist der händisch ausklappbare Monitor, der in einer unschönen Halterung untergebracht ist. Rechts neben dem Begleitsitz befindet sich ein kleiner Schrank mit Wasserkocher und Thermoskanne. Diese Kombination entspringt eindeutig türkischen Busverpflegungs-Gewohnheiten, bei welchen das heiße Wasser in der Thermos­kanne dazu dient, Tee aufzugießen. Doch keine Panik, Otokar Deutschland bietet vollwertige Podestküchen von allen hier bekannten Küchen­herstellern an. Diese werden nachträglich beim jeweiligen Generalvertreter montiert. Sogar eine Heckküche ist möglich, Flexibilität ist ein wichtiger Bestandteil der Otokar-Philosophie. Im Heck des Testbusses befand sich eine Wassertoilette. Ein Probesitzen ergab eine auch für größere Personen mehr als ausreichende Beinfreiheit bei geschlossener Tür. Mit Heck-WC fallen vier Sitzplätze weg, dann hat man aber immer noch die Möglichkeit, den Bus mit bis zu 39 Sitzplätzen zu konfigurieren, wobei eine Bestuhlung mit 34 Plätzen die vernünftigere Lösung erscheint. In den Kofferraum passen 5,5 Kubikmeter Gepäck, das dürfte für nor­male Touren ausreichen. Die Klappen öffnen übrigens parallel nach oben schwenkend, ein wenig Raum für das dafür notwendige Gestänge geht dadurch verloren. Besser als oben angeschlagene Klappen ist diese Variante aber allemal, da man als Belader sonst zu stark gebückt arbeiten müsste.
© Foto: Sascha Böhnke

Großer Vorteil: der niedrige Kraftstoffverbrauch

Wie aber fährt sich der Reise-Midi von Otokar? Um es vorweg zu nehmen: Erstaunlich gut. Handlingtechnisch betrachtet leistet sich der Bus keine Schwäche. Das Kurvenverhalten ist ausgezeichnet, die ZF-Lizenzlenkung aus türkischer Produktion ist direkt und vermittelt dem Fahrer ein gutes Gefühl zur Straße. Die Federung ist im optimalen ­Bereich abgestimmt, lediglich bei kürzeren Bodenwellen macht sich der kurze Radstand mit einem leichten Fahrzeugnicken bemerkbar. 1.100 Nm leistet der D08. Das ist bei einem voll beladenen Bus nicht unbedingt ein Raketentriebwerk, doch es reicht. Wenn man als Fahrer weiß, was man zur Verfügung hat, kann man sich darauf einstellen und seine Schaltstrategie entsprechend einrichten. Was allerdings nicht funktioniert, ist die Gänge ­etwas weiter auszufahren. Ein mehr als unangenehmer Warnton zwingt den Fahrer in den nächsthöheren Gang, und das geschieht ge­rade am Berg bereits gefühlt sehr früh. Viel langsamer als stärker motorisierte Kollegen ist man aber dennoch nicht unterwegs und einen Riesenvorteil hat man stets auf seiner Seite: nämlich den geringen Verbrauch. Knapp über 20 Liter/100 Kilometer bei Tempo 100 sind ­eine Ansage. Dabei war davon anfangs nicht unbedingt auszugehen, denn die Drehzahl liegt bei 100 km/h bei etwa 1.500 U/min. Auch die Verbräuche im Stadtbetrieb lassen das dieselpreisgebeutelte Unternehmerherz aufatmen. Etwa 27 Liter/100 Kilometer laufen durch die Kraftstoffleitungen, wo bei einem herkömmlichen 12-Meter-Bus 35 bis 42 Liter fällig werden. Wie genau sich diese Werte künftig mit einem Euro 6-Aggregat einpendeln werden, wäre an dieser Stelle Kaffeesatz­leserei, doch exorbitante Unterschiede werden wohl nicht zu erwarten sein. Ein manuell zu schaltendes ZF Sechsgang-Getriebe verlangt dem Fahrer keine größeren Anstrengungen ab. Im Gegenteil, auch am steilen Berg lässt sich der Bus zusammen mit dem Federspeicher gut vom Fleck bewegen. Eine Berganfahrhilfe wäre schön, ist aber nicht unbedingt notwendig. Was sich dagegen als zu schwach herausstellte, war die Bremsleistung des Telma-Retarders. Am Berg war dieser nicht in der Lage, eine eingestellte Geschwindigkeit zu halten, geschweige denn, den Bus zu verzögern. Hier musste viel und teils heftig mit der Fußbremse nachgeholfen werden, im Interesse von halbwegs kühlen Bremsen zog es der Testredakteur aber vor, die Geschwindigkeit bergab im Vergleich zu den bisherigen Testkandidaten ein wenig zu drosseln. Denn der Bremswegtest am Morgen ergab aus Tempo 80 einen Bremsweg von 45 Metern, bei vergleichbarer Witterung haben andere Kandidaten aber auch schon knapp zehn Meter eher gestanden. Ein Grund für die nur sehr durchschnittliche Bremsleistung könnten auch die kleinen Räder mit ihren kleineren Bremsen sein. Der Fahrerarbeitsplatz des Vectio T ist aus ergonomischer Sicht gut gestaltet. Alle Schalter und Instrumente sitzen dort, wo sie sich gut erreichen und einsehen lassen. Befand sich in ersten Fahrzeugen der digitale Tachograf noch sehr weit unten, ist dieser nun auf der Mittelkonsole ganz nach oben gewandert. Die Sicht nach vorn ist sehr gut, die Spiegel könnten allerdings einen Tick größer sein. Auch reicht das Wischerfeld rechts nicht bis in den Spiegel-Sichtbereich. Zwei Halterungen für Kaffee­becher oder kleine Wasserflaschen sind vorhan­den, das war’s aber auch schon mit Ablagen. Es gibt tatsächlich nicht eine einzige Möglichkeit, Stifte oder ähnliches zu verstauen. Aber bei Otokar wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis dieses Versäumnis behoben sein dürfte. Zu wichtig ist dem Hersteller, sich auf dem hiesigen Markt mit einem Bus einen ­guten Ruf zu holen, der das Zeug hat, trotz seiner geringen Abmessungen ein wirklich Großer unter den Kleinen zu werden.
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