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49-Euro-Ticket: Des einen Wunsch ist (nicht!) des anderen Marschbefehl

06.02.2023 14:48 Uhr | Lesezeit: 10 min
49-Euro-Ticket: Des einen Wunsch ist (nicht!) des anderen Marschbefehl
Nichts ist geklärt - nur der Wunsch scheint ungebrochen. Zumindest der politische ... 
© Foto: iStock/Firn/juf

In Politik und Medien wird das Deutschland-Ticket derzeit mit einer Lobeshymne nach der anderen zu dem ÖPNV-Heilsbringer schlechthin gehypt. Kritische Stimmen scheinen derart unpopulär zu sein, dass man denen, die sie äußern (könnten), kaum Zeit für qualifizierte Äußerungen lässt.

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Anders lässt sich nicht erklären, wie dem bdo, dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen, nicht einmal 14 Stunden Galgenfrist eingeräumt werden konnten, um eine Stellungnahme zum „Entwurf eines 9. Gesetzes zur Änderung des RegG“ (Regionalisierungsgesetz) abzugeben. Über Nacht, versteht sich, die Politik will schließlich zu Potte kommen. Insbesondere, wenn es um die Durchsetzung von politischen Wünschen geht. Ein Schelm, wer zu bedenken gibt, dass der Wunsch des einen keineswegs des anderen Marschbefehl sein kann und darf. Dass der bdo nicht nur der Form wegen eine Stellungnahme abgeben durfte, muss die Politik nun noch beweisen. Man wird sehen.

Der bdo hat die Zeit für die erzwungene Nacht- und Nebelaktion dennoch genutzt und eine vierseitige Stellungnahme verfasst. Gleich zu Beginn weisen die Autoren darauf hin, dass die Einführung des Deutschlandtickets für den Busmittelstand zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt komme. Nach „Corona“ und der Abhängigkeit von einem ÖPNV-Rettungsschirm sei die Eigenkapitaldecke der privaten Unternehmen aufgebraucht. Die Spritpreisexplosion habe ihrerseits dramatische Auswirkungen auf die Busbranche. Sämtliche Kostensteigerungen tragen private Unternehmen bislang selbst, denn weder hätten sich Bund und Länder auf zusätzliche Regionalisierungsmittel für Dieselkostenhilfen einigen können, noch habe die Bundesregierung die Busunternehmen im Rahmen der KMU-Hilfen unterstützt. In anderen Ländern würden EU-Hilfen für Strom und Gas auch auf Diesel angewandt. In Deutschland hingegen habe man sich bewusst gegen eine solche Abmilderungsstrategie entschieden.

Vorwurf: Politik lässt private Unternehmer bewusst im Regen stehen

In seiner Stellungnahme zum Deutschland-Ticket legt der bdo den Finger gnadenlos in die Wunde und wirft der Bundesregierung vor, den Busmittelstand absichtlich im Regen stehen zu lassen. „Das Deutschlandticket wird nicht abzusehende Auswirkungen auf die deutsche ÖPNV-Landschaft haben“, prophezeien die Autoren und betonen: „Zunächst werden die Fahrgäste erheblich vom neuen Angebot profitieren und finanziell entlastet. Der niedrige Preis des Angebots sorgt dafür, dass es das dominierende Tarifprodukt werden wird. Neben dem Deutschlandticket werden nicht viele Zeitkarten bestehen können. Auch im Bereich der Einzelfahrtausweise im SPNV wird es deutliche Verschiebungen geben. In vielen Fällen wird es sich schon bei einer Hin- und Rückfahrt über mittlere Strecken lohnen, ein Deutschlandticket anstelle von zwei Einzelfahrscheinen zu buchen. Gleichzeitig wird das Deutschlandticket auch erheblichste Folgen für die Verkehrsunternehmen selbst haben. Ein Grundpfeiler der ÖPNV-Finanzierung, die Ticketeinnahmen, wird durch staatliche Vorgaben drastisch gesenkt.“

Es sei wichtig, sicherzustellen, dass die Mindereinnahmen ausgeglichen werden, so der bdo – was unterm Strich die Abhängigkeit der Unternehmen von diversen „Hilfszahlungen“ allerdings auch nur noch verstärkt. Zumal kein Unternehmen „Hilfe“ bräuchte, wenn politische Wünsche die Unternehmen nicht in die Bedürftigkeiten bringen würden. Mit dem 9-Euro sei das Deutschland-Ticket nicht vergleichbar, so der bdo, weil letzteres keine „begrenzte Sozialmaßnahme“ sei und daher verfassungs- und beihilferechtlich anders bewertet werden müsse als sein befristeter Vorgänger.

Deutschland-Ticket soll „für immer“ sein …

Der bdo ist nicht grundsätzlich gegen ein Deutschland-Ticket. Den Verantwortlichen ist aber bewusst, dass über einen „Not-öDA“ (öDA = öffentliche Dienstleistungsaufträge) – wie bei „Corona“ geschehen – die Verkehrsleistung aus der Eigenwirtschaftlichkeit in die Gemeinwirtschaftlichkeit überführt wird. Das allerdings gemäß EUVO 1370/07 nur mit der Vereinbarung, dass der Verkehr nach der „Notsituation“ wieder in die Eigenwirtschaftlichkeit zurück überführt wird.

„Der Ausgleich von Hilfen aus dem ÖPNV-Rettungsschirm über allgemeine Vorschriften (AV) erfolgte nur in Ausnahmenfällen“, heißt es mit Blick auf „Corona“ in der bdo-Stellungnahme zum Deutschlandticket. „Aufgabenträger waren nicht verpflichtet, einen Ausgleich über den ÖPNV-Rettungsschirm an die Unternehmen auszuzahlen. Der Rettungsschirm basierte bislang auf einer Billigkeitsrichtlinie ohne Rechtsanspruch auf Ausgleich von Corona-Schäden. Über eine Leitlinie haben die Länder den Aufgabenträgern Hilfen für die Umsetzung der Auszahlungen an die Hand gegeben. Auch der Ausgleich der Mindereinnahmen aufgrund des 9-Euro-Tickets erfolgte größtenteils hierüber, obwohl es eigentlich weder eines öDA noch einer AV bedurft hätte, da die Bundesregierung Ausgleichsleistungen aus dem 9-Euro-Ticket nicht als Beihilfen eingestuft hatte.“

Deutschland-Ticket – Ausgleichszahlungen für Mindereinnahmen: ungeklärt!

Wie das Deutschland-Ticket eingestuft werde, sei zurzeit noch völlig offen. Gespräche mit der EU-Kommission hätten noch zu keinem Ergebnis geführt. Pikant: nach Aussage des bdo betrifft das die gesamte beihilferechtliche Prüfung des angedachten Ausgleichsverfahrens zum Deutschland-Ticket, womit beihilferechtlich bislang noch überhaupt nicht geklärt sei, dass die Unternehmen bei Anwendung des Tarifs einen entsprechenden Ausgleich ihrer Mindereinnahmen erhalten. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass Ausgleichsleistungen als unzulässige Beihilfen eingestuft werden müssten, wären die Unternehmen verpflichtet, sämtliche „Hilfszahlungen“ zurückzuerstatten – und damit das komplette Haftungsrisiko zu tragen. Einmal mehr: allein. Eine weitere Forderung des bdo ist deshalb, das Ticket keinesfalls vor der einvernehmlichen Klärung der Beihilfefragen mit der EU- Kommission einzuführen.

bdo zum Deutschland-Ticket: „politisch beschlossene Tarifabsenkungsmaßnahme“

Die Verpflichtung von Unternehmen, Fahrgäste zu einem verbilligten Tarif zu befördern, stellt nach Ansicht des bdo eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung nach EUVO 1370/07 dar. Der Grund: es gibt „keinen betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Grund, warum ein Unternehmen freiwillig auf Fahrgeldeinnahmen verzichten sollte“. Die gewünschte bundesweite Geltung des Deutschlandtickets könne nur erfolgen, wenn sichergestellt wird, dass das Deutschlandticket auch überall im ganzen Bundesgebiet Anwendung finde. Das bisherige System des ÖPNV-Rettungsschirms sei dafür ungeeignet, so der bdo. Es stelle nicht sicher, dass alle Aufgabenträger und Unternehmen das Deutschlandticket akzeptieren. Es sei ausgeschlossen, dass „sämtliche Aufgabenträger Deutschlands bis Mai den Tarif festlegen, alle Unternehmen diesen beantragen und er dann auch noch durch sämtliche Genehmigungsbehörden genehmigt wird“. Die eigenwirtschaftlich tätigen und mittelständischen Unternehmen würden zum Bittsteller bei den Aufgabenträgern.

Lösungsvorschläge

Bund und Länder sollen nach Ansicht des bdo im Regionalisierungsgesetz ausdrücklich Hintergrund, Art und Weise der Tarifvorgabe sowie Art und Umfang des Ausgleichs regeln, fordert der bdo. Damit entstehe eine verbindliche Rechtsgrundlage für alle Beteiligten, und es werde sichergestellt, dass alle Aufgabenträger und Unternehmen das Ticket anwenden müssen. Unverständlicherweise enthalte der Gesetzesentwurf weder eine konkrete Tarifvorgabe noch eine damit zusammenhängende Tarifgenehmigungsfiktion, weswegen hier dringend nachgebessert werden müsse.

Pro Jahr (2023 und 2024) wollen Bund und Länder zum Ausgleich der Kosten des Deutschland-Tickets je 1,5 Milliarden Euro bereitstellen. Für 2023 sei eine Nachschusspflicht vereinbart, so dass eventuelle Mehrkosten auf jeden Fall ausgeglichen würden – da aber das Deutschland-Ticket 2023 nur für 7 Monate angeboten werde, sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass dieses Jahr ein Zuschussbedarf entstehe, der über die insgesamt 3 Milliarden Euro hinausgehe. Für 2024 sähe die Situation jedoch anders aus: hier bestehe noch immer erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der Sicherstellung der Finanzierung des Deutschland-Tickets. Im Bund-Länder-Beschluss vom 8. Dezember 2022 heiße es dazu kryptisch: „In den Folgejahren vereinbaren Bund und Länder gemeinsam, wie die Finanzierung durch Ticketeinnahmen und die vereinbarten Zuschüsse in Höhe von je 1,5 Milliarden Euro sichergestellt wird.“ Branchenberechnungen des bdo hätten jedoch ergeben, dass das Deutschlandticket für 49 Euro rund 3 Milliarden Euro jährlich koste.

Und das, wo das Abo auf Wunsch der Länder monatlich kündbar sein solle. „Diese ‚de facto Monatskarte# wird dazu führen, dass das bereitgestellte Budget um rund 500 Millionen Euro überschritten wird“, so der bdo. Eine einfache Kündbarkeit ohne Anreize, sich langfristig zu binden, führe dazu, dass es für die Kunden keinerlei nennenswerte Vorteile mehr habe, ein echtes Abonnement abzuschließen. „Im Gegenteil. Kaum jemand wird das Deutschlandticket jeden Monat so nutzen, dass die 49 Euro Ticketpreis #abgefahren werden‘.“ Ökonomisch denkende Kunden würden das Deutschland-Ticket nur dann kaufen, wenn es für sie wirtschaftlich sinnvoll sei. Die Folge sei eine fehlende Planungssicherheit auf Seiten der Unternehmen, bürokratischer Aufwand für die „Abo-Verwaltung“ und nicht abzusehende Mehrkosten für das Gesamtsystem Deutschland-Ticket.

Deutschland-Ticket: keine Unterstützung für ein Tarifprodukt, dessen Risiko die Unternehmen tragen

Was Bund und Länder den Unternehmen in Sachen Deutschland-Ticket bislang bieten, hat bislang bestenfalls etwas mit Risiko zu tun und schlimmstenfalls mit garantiertem Desaster. Und das vor dem Hintergrund, vollkommen offen sei, ob die Ticketeinnahmen ausreichen werden, um mögliche Mehrkosten über 3 Milliarden auszugleichen, betont der bdo. Nur dann, wenn drastisch mehr Menschen als bei den Planungen prognostiziert, ein Deutschland-Ticket kaufen, könnten Mehreinnahmen generiert werden. Der bdo hält dergleichen zugegebenermaßen für unwahrscheinlich – was ihn bereits jetzt über eine Anhebung des Ticketpreises 2024 spekulieren lässt. Für eine Tariferhöhung, die auf realen Daten basiert und nicht nur einer groben Schätzung unterliegt, würden Ende 2023 aber noch gar keine ausreichenden Daten vorliegen. Eine gesetzlich verankerte Nachschusspflicht sei anzuraten, gibt der bdo zu bedenken.

Papiertickets, Evaluation und faire Einnahmenaufteilung

In Sachen Technik plädiert der bdo dafür, der Umstellung auf ein rein digitales Deutschland-Ticket Zeit zu geben, da insbesondere kleine Unternehmen auf dem Land die Voraussetzungen nicht bis Mai gewährleisten und damit keine Deutschland-Tickets verkaufen könnten. Stammkunden würden entsprechend abwandern und wären auch für die Zukunft verloren, was auf eine Diskriminierung hinauslaufe und einen tiefen Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstelle. „Der bdo hält die Einführung eines papierlosen Tickets ohne Übergangszeitraum von ca. einem Jahr für verfassungswidrig“, schreiben die Autoren in ihrer Stellungnahme. Zu bedenken sei auch, dass nicht alle Kunden ein Smartphone nutzen könnten bzw. dürften.

In Bezug auf den Datenschutz dürften private Busunternehmen keinesfalls dazu verpflichtet werden, zu Dokumentations- und Evaluationszwecken ihre sensiblen Betriebsdaten an andere Wettbewerber oder Marktteilnehmer weiterzugeben, schreibt der bdo abschließend. Auch sieht es der bdo die Schaffung einer Clearing-Stelle nicht als staatliche Aufgabe an. Für die Einnahmeaufteilung sollten die Unternehmen selbst zuständig sein. Hier sollte eine neutrale Organisation geschaffen werden, die paritätisch durch alle Markteilnehmer besetzt ist.

Wer will das Deutschland-Ticket überhaupt – außer der Politik?

Bewohner von Kleinstädten und ländlichen Regionen scheinen bislang nicht sonderlich ticket-affin zu sein. Gerade mal 36 bzw. 37 Prozent gaben in einer Umfrage laut bdo an, am Kauf eines Deutschland-Tickets interessiert zu sein. Ab einer Einwohnerzahl von 100.000 sind Großstädter zu begeistern – wenn im Schnitt auch nur zu 45 bis 48 Prozent. Die Diskrepanz läge vor allem an der Anzahl der Berufspendler, so der bdo. In den Großstädten gebe es deutlich mehr Arbeitnehmer, die für ihren Arbeitsweg ohnehin den ÖPNV nutzten. Die Zahlen zeigten damit deutlich, dass das Deutschlandticket eher nicht zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Stadt und Land beitragen werde.

Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, hält nach bdo-Informationen das Deutschland-Ticket sowohl für den Regionalverkehr als auch hinsichtlich des geplanten Starts zum 1. Mai für eine schlechte Idee. Aus Sicht des Landkreistages werde es in ganz Deutschland „an allen Ecken und Enden holpern“ und an jeder Ecke werde nachgebessert werden müssen. Anstatt in ein besseres Nahverkehrsangebot zu investieren, soll ein Billigticket die Probleme im ÖPNV lösen, moniert Sager.

Wer sich für die Stellungnahme interessiert, kann sie unter bdo-Stellungsnahme Deutschland-Ticket im Volltext herunterladen.

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KOMMENTARE


Sven Büttner

14.06.2023 - 00:00 Uhr

Der ÖPNV muss zwingend günstig, am besten noch kostenlos sein, was im Übrigen in anderen Ländern ohne Probleme funktioniert. Nur so gibt es einen Grund, statt den Pkw den ÖPNV zu nutzen. Das Deutschlandticket passt den privaten Verkehrsunternehmen natürlich gar nicht, denn diese sehen damit ihre Gewinne davon schwimmen. Veränderungen werden immer Opfer fordern. Dann gehen private Verkehrsunternehmen halt pleite. Es kann aber nicht sein, dass für Unternehmen in Deutschland immer eine Extrawurst gebraten wird. Die Gesellschaft als Ganzes ist wichtiger als die Belange eines oder mehrerer Großkapitalisten.


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