Der neue Sprinter City 75 kommt zum Supertest der OMNIBUSREVUE nach Berlin. Ein Ereignis, welches durchaus als bemerkenswert bezeichnet werden kann, schließlich müssen sich dort alle Stadtbusse auf einer anspruchsvollen Innenstadtlinie bewähren. Kein Ort für Weicheier. Ein Ort für Minibusse? Wer die gefahrenen Linien 100 und 200 kennt, dürfte ins Zweifeln kommen, doch als Ersatz für die Doppeldecker und die dort fahrenden Gelenkbusse ist der Sprinter auch nicht gedacht. Dennoch gilt beim Test: Ausnahmen werden nicht gemacht. Kein Wunder also, dass der am Ende gemessene Durchschnittsverbrauch von 27 Litern auf 100 Kilometer erst einmal sehr hoch erscheint. Doch die Durchschnittsgeschwindigkeit spricht Bände: Gerade mal 14 km/h. Dazu unzählige Haltestellen, Staus, Ampelstopps. Es ist ein praktischer SORT-Test der harten Art. Ein Gelenkbus knackt auf gleicher Linie hier auch gerne mal die 40–50-Liter-Marke. Und zur Beruhigung aller potenzieller Sprinter City 75-Käufer: Werte wie die hier Erfahrenen dürften in der Praxis eher nicht erreicht werden. Denn solche Busse fahren in der Regel in der Nacht, im ländlichen Bereich, in kleinen Städten, als Shuttle. Und dann steht beim Verbrauch eine eins vorn. Dennoch ist kaum eine Strecke so geeignet wie die in Berlin, um schonungslos alle Schwächen eines Busses offenzulegen. Und ja, auch die hat dieser Bus. Zumindest, wenn man vom Großbus umsteigt. Die sind nämlich kompromisslos auf einen harten Einsatz getrimmt, der Sprinter sicher auch, dennoch kann er seine Transporter- und auch Pkw-Gene nicht ganz verbergen. Doch der Reihe nach.
Fahren lässt sich der Bus ausgezeichnet. Als Getriebe arbeitet das hauseigene 7G-Tronic-Plus-Wandlergetriebe. Es schaltet weich und ruckfrei, lediglich wenn der Fahrer beim Anfahren die volle Leistung abverlangt, dann dreht der Zwei-Liter-Motor ordentlich hoch, bis dann nach einer subjektiv gefühlten Ewigkeit endlich weitergeschaltet wird. Das kann man natürlich unterbinden, indem man mit dem Fuß kurz vom Gaspedal geht, doch dann verliert der Bus natürlich an Schwung. In höheren Drehzahlbereichen macht sich der Motor zudem durchaus bemerkbar, dafür gibt es einen kleinen Punktabzug. Wenn man aber eher normal, also ohne Stress und Hektik unterwegs ist, dann mausert sich der kleine Sprinter zu einem ruhigen Begleiter.
Das Cockpit stammt fast 1:1 vom Transporter ab, lediglich eine Bus-Schalter-Konsole wurde über dem MBUX Multimediasystem angebracht. Das sieht nicht wirklich schön aus, aber es funktioniert und der große Vorteil: Alle Busschalter sind übersichtlich an einem Ort zusammengefasst. Die Praxistauglichkeit ist doch das, was am Ende zählt. Was eher nervt und im Stadtbus eigentlich nichts verloren hat, ist die Sprachbedienung. Sobald der Fahrer oder lustige Fahrgäste versehentlich oder absichtlich „Mercedes“ sagen, meldet sich eine weibliche Computerstimme und fragt, was man will. Meist möchte man nichts. Wie das Wetter in der Stadt ist, sieht man, und wie man zum Ziel der Linie kommt, sollte man als Fahrer ohnehin wissen. Also gut gemeint, aber überflüssig. Dafür aber besitzt der City 75 so viele Assistenz- und Sicherheitssysteme, wie es sie derzeit überhaupt nur geben kann. Beispielsweise einen aktiven Abstandsassistenten, einen Fahrlichtassistenten, einen Regensensor oder einen Attention Assist – letzterer dürfte aber auf der Stadtlinie eher selten gefragt sein. Was bei der Testfahrt auf dem ADAC Fahrsicherheitsgelände im brandenburgischen Linthe auffiel, war die im Gegensatz zum älteren Sprinter gelungene ESP-Abstimmung. Ja, sie wurde vom Transporter übernommen für den Bus aufwendig angepasst. Dadurch ist ab Tempo 45 auf der nassen Kreisbahn Schluss mit Beschleunigen, die Systeme halten den Bus konstant auf Tempo. Wenn man allerdings nur lange genug im Kreis fährt, dann verabschiedet sich das ESP genervt und dann kommt man in den Genuss eines beeindruckenden Übersteuerns: Langsam, aber unaufhaltsam kommt das Heck nach vorn. Doch Achtung: Eine solche Situation haben wir im Test extra provoziert, im Alltag dürften die Systeme ohne Ausfall arbeiten.
In der Stadt lässt sich der Kleine völlig unproblematisch steuern, enge Kurven stellen keine Herausforderung, sondern einen Spaß dar. Lediglich beim Heranfahren an eine Haltestelle kommt der Großbusfahrer ins Schwitzen: Man neigt nämlich dazu, viel zu weit weg vom Bordstein zu halten. Zu dicht will man nämlich auch nicht heran fahren, sonst könnten die Radkappen oder Bolzenköpfe Schaden nehmen. Abhilfe soll ein extra dafür angebauter Rampenspiegel an der rechten Seite schaffen, doch in der Praxis eignet sich für das korrekte Abstandsmessen beim Anhalten eher der untere rechte Weitwinkelspiegel. Nach drei Runden hatte dann auch der Testfahrer den Dreh raus. Ablagen gibt es für den Fahrer ausreichend. Eine Besonderheit sind gleich zwei Becherhalter über dem Zentraldisplay. Wider Erwarten stören dort platzierte Kaffeebecher nicht die Sicht nach vorn. Der Fahrersitz lässt sich nicht zur Seite drehen, das könnte etwas unbequem werden, wenn der Fahrer mit Kassieraufgaben betraut wird und häufiger Fahrgastkontakt notwendig ist. Der digitale Tachograf sitzt zwar ein klein wenig weit unten, doch das ist gerade noch so im Bereich des ergonomisch Vertretbaren. Besser auf jeden Fall, als würde dieser über Kopf sitzen.
