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Jest: Es wird der Anfang sein

26.08.2020 15:05 Uhr | Lesezeit: 10 min
Jest: Es wird der Anfang sein
© Foto: Sascha Böhnke

Dieser Bus soll neuen Schwung in den Nischenmarkt der kleinen Stadtbusse bringen. Natürlich elektrisch, natürlich zuverlässig. Mit Quantron hat der türkische Hersteller Karsan einen deutschen Spezialisten für den Vertrieb gewinnen können, der es sich klar zum Ziel gemacht hat, den anspruchsvollen deutschen Markt zu erobern.

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Dieser Bus ist ein Dolmus. Oder besser: Es ist ein Midibus. Oder noch besser: Es ist ein verkleideter BMW. Oder am allerbesten: Er ist vielleicht die Antwort auf die Mobilitätsprobleme, von denen wir vielleicht noch nichts wissen, von denen wir aber eine Ahnung haben. Denn nach wie vor spielen Klein- und Kleinstbusse im Bereich des ÖPNV nur eine untergeordnete Rolle.

Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, solange sich der freie Bürger noch über freie Fahrt in die urbanen Ballungsräume freuen darf. (Was per se erst einmal nicht schlecht sein muss.) Und doch ist es unverkennbar, dass es in den Städten immer enger wird, nicht zuletzt durch die schrittweise Wegnahme von natürlichem Lebensraum für den Individualverkehr. Soll es also auch in Zukunft für die große Masse an dort lebenden Bewohnern attraktiv bleiben, darf nicht nur auf das Fahrrad oder den Elektroroller gesetzt werden. Mobil zu bleiben, erfordert nämlich völlig neue und innovative städteplanerische Herangehensweisen – flexible, vollwertige Verkehrsmittel sind da ein Puzzleteil.

Der Jest von Karsan reiht sich ein in die bereits vorhandene Riege von Minis und Midis, zu denen ohne Frage auch ein Mercedes-Benz Sprinter gehört. Was allerdings sein Alleinstellungsmerkmal ist: Es ist ein vollelektrischer Bus, den es in seiner Art als Serienfahrzeug zu kaufen gibt. Der Jest ist kein Unbekannter, als konventionell angetriebener Minibus in türkischen Groß- und Kleinstädten ist er seit Jahren unterwegs und somit durchaus praxiserprobt. Somit wird aber auch klar: Der elektrische Jest ist keine Neuentwicklung, was dann auch an einigen Punkten sichtbar wird.

Äußerlich ist der Jest eine durchaus gelungene, moderne Erscheinung. Front und Heck wirken gefällig, die leicht nach hinten gewölbte Frontscheibe verleiht dem Ganzen etwas Schnittiges.

Überhaupt wirkt der Jest wie ein echter kleiner Bus und nicht wie ein Transporter mit Scheiben. Das ist wichtig vor dem Hintergrund, dass man in moderne Urbanitätskonzepte passen will. Die Fahrbahn wird mit Voll-LED-Scheinwerfern ausgeleuchtet, was für ausreichende Sicht bei Dunkelheit sorgen dürfte. Fahren konnte Testredakteur Sascha Böhnke jedoch nur am Tag.

Das Gerippe des Busses ist KTL-beschichtet. Das sowie die Tatsache, dass die Außenbeplankung aus Aluminium und Kunststoff besteht, soll für Korrosionsfestigkeit sorgen. Bei der Fahrgasttür handelt es sich um eine elektrisch angetriebene, einflügelige Schiebetür, die etwas breiter als die manuell verbaute Klapprampe ist. Doch der Jest hat noch eine weitere Tür, nämlich für den Fahrer. Das dürfte zwei Gründe haben. Zum einen kommen viele Dolmus-Busse mit Fahrertür aus, zum anderen ist der Weg zum Fahrerarbeitsplatz durch den Innenraum doch recht umständlich, denn nicht jeder Fahrer ist sportlich veranlagt.

Wo beim konventionellen Fronttriebler der Diesel- oder Benzinmotor sitzt, an fast der gleichen Position hat Karsan den Elektromotor untergebracht. Mehr Infos zu diesem von BMW für den i3 entwickelten Motor finden Sie in der Tabelle auf Seite 29. Dabei handelt es sich um einen Zentralmotor, der über ein Einganggetriebe die Vorderräder antreibt. Laut Vertriebspartner Quantron verfügt die Karsan-Version des Motors allerdings über 290 Nm und nicht wie beim im i3 verbauten Motor nur über 250 Nm maximales Drehmoment. Der Antritt gestaltet sich überaus sportlich. Nach nur fünf Sekunden ist Tempo 50 erreicht. Das ist zwar ein Spitzenwert für einen Pkw, aber nicht tauglich für kleine Busse. Deswegen ist es auch gut, dass sich die Sportlichkeit beim Anfahren einfach drosseln lässt. Selbst dann aber geht es immer noch ausreichend zügig vom Fleck.

Fahren lässt sich der kleine Bus ausgezeichnet. Der Wendekreis ist beeindruckend gering, kein Wunder bei einem Radstand von gerade einmal 3,75 Metern und einer Gesamtlänge von 5,85 Metern. Das Federungsverhalten ist dank kompletter Einzelradaufhängung Weltklasse. Und das trotz geringen Radstands. Bleibt zu hoffen, dass die diesbezüglich verbaute Hyundai-Fahrwerkstechnik auch dem harten Busalltag standhält. Andere Aufbauhersteller im Minibussegment haben da in der Vergangenheit doch zu filigrane Technik verbaut, die selbst einfache Bordsteinrempler häufig nicht unbeschadet überstand. Optimistisch aber dürfte, wie weiter vorn erwähnt, die Tatsache stimmen, dass das Konzept bereits umfangreiche Praxiserfahrungen aufweisen kann.

Fahrer könnten die weit nach unten gezogene Dachpartie als störend empfinden
© Foto: Sascha Böhnke

Der Fahrerplatz ...

... zwiespältige Gefühle. Große Fahrer dürften sich an der niedrigen Dachkante vorn stören, was der sehr hohen Sitzposition auf Vorderachse und Motor geschuldet ist. Die Sicht nach außen inklusive Spiegelsicht geht aber generell in Ordnung. Die Sicht auf das Kombi­instrument wird durch das Lenkrad unschön in weiten Teilen verdeckt. Dafür sind die Bedienung und die Sicht der zehn Zoll großen Multimediaeinheit rechts vom Fahrer recht gut.

Für einen Stadtbus wären ein paar weniger Einstellmöglichkeiten zwar wünschenswert, doch wer es mit den Verstellungen nicht übertreibt, kommt gut zurecht. Bis zu 25 Prozent der verbrauchten Energie (abhängig von der gefahrenen Strecke natürlich) sollen sich laut Karsan durch das Rekuperieren wiedergewinnen lassen. Das ist ein recht guter Wert, auch wenn die Heftigkeit, mit der die Verzögerung bei der zweiten von zwei einstellbaren Rekuperationsstufen eintritt, doch überrascht.

Die Fahrertür ist ein praktisches Detail
© Foto: Sascha Böhnke

Bis zu 25 Fahrgäste ...

... kann der elektrische Jest befördern, zehn davon sitzend. Für den mittleren, rein niederflurigen Bereich sind, abgesehen von drei Klappsitzen, lediglich Stehplätze vorgesehen. Die Sitze werden größtenteils per Stufen im Heck erreicht. Dieses Low-Entry-Layout hat seinen Grund: Im und unter dem Heck befinden sich die Batterien, die es in zwei Größenordnungen gibt: 44 oder 88 kWh. Das soll dann für Reichweiten von 105 oder 210 Kilometern reichen. Was schlecht ist für die Fahrgastraumkapazität, ist gut in Sachen Fahrstabilität. Kein Wunder: Wenn wesentliches Gewicht so weit unten angeordnet ist wie beim Jest, liegt jedes Fahrzeug so sicher auf der Straße wie ein Granitblock.


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Geladen wird der Jest ausschließlich per Stecker/Buchse. Die maximale Ladeleistung beträgt derzeit bis zu 55 Kilowatt


Geladen wir ausschließlich ...

... per Stecker und hier bis zu 55 kW. Eine Pantografenladung ist in dieser Klasse nicht vorgesehen und dürfte auch kaum Sinn machen. Ein wenig schade ist, dass die Fahrgastsicht nicht gerade überragend ist. Zur Seite geht es noch, auch wenn die Seitenscheiben durchaus einen Tick größer sein dürften, doch die Sicht nach vorne macht keine Freude. Sie gleicht fast einem Tunnelblick. Hier wiederum zeigt der Wettbewerb beispielsweise beim Sprinter City, wie es sein sollte.

Vertrieben wird der Jest ...

... wie auch sein großer Bruder Atak von der auf E-Mobilität ausgerichteten Firma Quantron, gegründet von Andreas Haller. Der Sitz der 40 Mitarbeiter ist bei Augsburg, ein neues Umrüstwerk in der Nähe mit einer Fläche von 3.000 Quadratmetern soll noch 2020 bezogen werden. Mit Haller und Quantron sollte man sich als Kunde eigentlich sicher sein, auch nach dem Kauf.

Unser Urteil

Der Karsan Jest hat das Zeug, um hierzulande erfolgreich zu werden. Er bewegt sich in einem Segment, welches bisher noch nicht ernsthaft besetzt ist. Die elektrische Reichweite und die Fahrgastkapazität bewegen sich in einem akzeptablen Rahmen, der Preis ist ambitioniert günstig, selbst mit der großen Batterie. Mit Quantron hat Karsan zudem einen erfahrenen, ernsthaften Vertriebs- und Servicepartner gefunden, der sich konsequent der E-Mobilität verschrieben hat und durchaus in der Praxis zu Hause ist. Äußerlich kann der Bus als mehr als gelungen bezeichnet werden, lediglich der etwas konservativ gehaltene Fahrgastraum enttäuscht optisch ein klein wenig. In Sachen Praxistauglichkeit bekommt der Bus dagegen die volle Punktzahl.

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