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Der Straßenkünstler

22.10.2018 14:28 Uhr
Der Straßenkünstler
© Foto: Stephan Maier

Ob Nordkap, Berlin oder Albanien: Der Mercedes-Benz Tourismo fühlt sich überall gleichermaßen zu Hause. Es gibt kaum eine Disziplin, die der Bus nicht beherrscht. Beim Supertest der OMNIBUSREVUE musste der Tourismo zeigen, dass ihm auch in Sachen Verbrauch und Handling keine Schwächen unterlaufen.

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Dieses Gelb sieht einfach verdammt gut aus. Yellowstone nennt sich die Farbe, die Mercedes-Benz seinem aktuellen Safety-Coach verpasst hat. Dazu ein auffäliges Fahrbahn-Design – fertig ist die Botschaft. Und die soll wohl lauten: Seht her, ein Tourismo ist alles andere als langweilig! Das ist gelungen. Mit einer filigran wirkenden Leichtigkeit fährt der Bus vor, wobei Leichtigkeit durchaus wörtlich genommen werden kann, denn im Vergleich zum Vorgänger wurde der Bus um rund 200 Kilogramm leichter. Das ist deswegen so bemerkenswert, da das Fahrzeug im gleichen Atemzug stabiler, steifer, sicherer wurde.

So besitzt der Tourismo nun auch endlich den schon vom alten Travego und der 500erReisebus-Baureihe von Setra bekannten Front Collision Guard. Der absorbiert nicht nur Aufprallenergie, sondern schützt gleichzeitig Fahrer und Beifahrer – das ist Omnibusvorbau neu gedacht. Außerdem erfüllt der Bus nun die Umsturzrichtlinie UN ECE R66.02. Dazu wurde das Gerippe komplett neu entwickelt, nicht nur die Ringspantenbauweise erhöht die Sicherheit, neue, hochfeste Verbindungen innerhalb des Gerippes sorgen für weniger Gewicht bei höherer Festigkeit. Weniger Gewicht sorgt bekanntlich für einen geringeren Kraftstoffverbrauch, dazu kommt, dass zahlreiche Maßnahmen im Aerodynamikbereich den cw-Wert auf 0,33 drücken. Mercedes-Benz beziffert die Kraftstoffersparnis auf bis zu sieben Prozent im Vergleich zum Vorgänger. Beim ­OMNIBUSREVUE-Supertest konnten wir solche fabelhaften Werte zwar nicht erfahren – der Durchschnittsverbrauch lag bei insgesamt 27,39 Litern pro 100 Kilometer – für einen 13-Meter-Zweiachser ist das aber dennoch ein mehr als akzeptabler Wert. Auf der ebenen Autobahn sind dann beladen auch Verbräuche von 20 Liter auf 100 Kilometer drin. Runtergerechnet auf die Fahrgastplatzanzahl im Testbus, die bei luxuriösen 48 lag, ergibt sich ein Gesamt-Pro-Kopf-Verbrauch von 0,57 Litern/100 km. Das kann sich sehen lassen.

Angetrieben wurde der Testbus vom OM 470 mit 10,7 Litern Hubraum. 2.200 Nm stehen schon frühzeitig zur Verfügung, auch das ein Grund dafür, weshalb der Bus mit einer Hinterachsübersetzung von i = 3,58 ausgestattet war. Bei Tempo 100 liegt eine Drehzahl von 1.189 U/min an, das ist ein recht guter Wert, auch wenn ein Neoplan Tourliner oder ein MAN Lion’s Coach diesen noch toppen kann. Die haben aber auch zwölf Gänge zur Verfügung. Im normalen Fahrbetrieb, erst recht auf der Autobahn, zeigte sich diese Kombination als sehr praxistauglich. Kein Wunder, 456 Pferdestärken haben mit dem Bus leichtes Spiel. Lediglich in den Bergen, wenn es wirklich anstrengend zur Sache ging, hätten wir uns eine kürzere Achse oder mehr Gänge gewünscht. Doch wirklich häufig traten solche Momente nicht auf und, ganz ehrlich, verhungern wird mit dem OM 470 niemand am Berg. Hier sollte sich im Vorfeld kritisch die Frage gestellt werden, wo der Bus hauptsächlich eingesetzt werden soll. Viel falsch machen kann man da nicht.

Geschaltet wird per GO 250-8 Powershift-Getriebe. Das ist mittlerweile ein Altbekanntes und erledigt seinen Dienst souverän. Steigungen werden beim Anfahren zuverlässig erkannt, auf dem ADAC-Fahrsicherheitsgelände Berlin/Brandenburg erfolgte zudem eine blitzschnelle ASR-Regelung, zu einem Durchdrehen der Räder kam es nicht. Selbst das Rangieren gestaltet sich einfach, Powershift erkennt, wenn feinfühlig gefahren werden soll, und passt das Schaltprogramm mit einem sogenannten Kriechmodus entsprechend an. Hier lässt sich der Bus allein mit dem Bremspedal fahren, der Hersteller selbst vergleicht das Fahren mit einer Wandlerautomatik. Gut, so weit würde der OMNIBUSREVUE-Testfahrer nicht gehen, aber nahe dran ist das Rangier Fahrgefühl schon.

© Foto: Sascha Böhnke

Der Tourismo M/2 im Test

Wer mit der aktuellen Setra-Baureihe vertraut ist, kann sich nun auch beim Tourismo über das Absenken der Karosserie ab etwa Tempo 90 km/h freuen, das verringert die Stirnfläche. Bedeutet weniger Bus, der sich gegen den Fahrtwind stemmen muss, auch weniger Wind­geräusche? Wenn der Wind nicht allzu ungünstig steht, dann stimmt das. Denn auch die neuen Spiegel, die übrigens aus der Setra-ComfortClass bekannt sein dürften, wurden strömungs- und damit windgeräuschoptimiert gestaltet. Überhaupt ist die Sicht in den Spiegeln gut, sowohl links als auch rechts wurden Rampen­spiegel verbaut, das erleichtert das Rangieren ungemein. Der Fahrerarbeitsplatz kann als gelungen bezeichnet werden. Zumindest bei der Comfort-Plus-Version. Bei der Basis-Variante befinden sich leider einige Geräte in ungünstigen Positionen, auch ist die Optik weniger wertig gehalten. Ganz klar, ein solches Cockpit richtet sich in erster Linie an Einsätze, die vorwiegend im Kombiverkehr zu finden sind, beziehungsweise an kostenbewusste Unternehmer. Sein komplettes Potenzial jedoch kann der Tourismo erst mit der höherwertigen Cockpit-Version ausspielen, dieses war auch im Testbus verbaut. Ablagen gibt es ausreichend, allerdings wäre links ein Fach mit Klappe für sensible Utensilien sinnvoll. Absolut unverständlich ist die Position der USB-Ladebuchse für den Fahrer. Sie befindet sich versteckt unten links vor dem Federspeicherhebel und kann lediglich ertastet werden. Ansonsten gilt: Einsteigen, Sitz einstellen und wohlfühlen. Sämtliche, zu Bediengruppen zusammengefassten Schalter befinden sich an logischen Positionen, abgesehen von den beiden Tür-Tastern, die sitzen zu weit unten. Das ist aber möglicherweise bei der Fahrzeugkonfiguration entsprechend zu ändern. Im Tourismo haben auch zahlreiche neue Assistenzsysteme Einzug gehalten. Schön dabei ist, dass das Cockpit dennoch nicht überfrachtet wirkt. Kein Wunder, die Entwickler haben die meisten Assistenz- und Sicherheitssysteme schier unmerklich in das Fahrzeug integriert, das bedeutet, man bekommt erst dann mit, dass sie an Bord sind, wenn sie in Aktion treten. Das gilt beispielsweise für den aktuellsten Notbrems­assistenten, ABA 4. Dieser machte sich selbst beim Supertest nicht bemerkbar, was aber auch gut so ist, denn ABA 4 bremst den Bus auch bei Fußgängererkennung ab. Dass ABA 4 funktioniert, zeigte übrigens der Supertest des Setra-Doppeldeckers S 531 DT, hier wurden vom Testredakteur entsprechende Versuche durchgeführt. Dafür machte sich aber ein weiteres Sicherheitssystem, nämlich der von Mercedes-Benz genannte „Side Guard Assist“, recht häufig bemerkbar. Dabei handelt es sich um Radar­sensoren, die in Höhe des rechten Vorderrades verbaut sind. Sie informieren in einem ersten Schritt und warnen den Fahrer in einem zweiten, wenn sich etwas neben dem Bus befindet. Grundsätzlich ist das eine gute Sache, denn neben einer haptischen Warnung im Fahrersitz leuchten gelbe beziehungsweise rote Warnleuchten im Spiegel und im Zentraldisplay, allerdings besteht durchaus die Gefahr der Gewöhnung, falls zu häufig gewarnt wird. Eventuell wäre hier eine Kombination mit Kameras überlegenswert. Was allerdings während der Testfahrt positiv auffiel, war das Arbeiten des „Side Guard Assist“ während der Autobahnfahrten. Ab zirka Tempo 35 km/h wird das System nämlich zum Spurwechsel-Helfer. Die Funktionsweise ist recht einfach: Überholt der Bus beispielsweise einen Lkw und zieht zu früh, was im Übrigen auch einen fehlenden Sicherheitsabstand betreffen kann, wieder auf die rechte Spur, kommen entsprechende optische und haptische Warnungen. Das geschieht, da die Radar-Überwachungszone auf bis zu 15 Meter nach hinten ausgeweitet wird. In der Praxis hat das gut funktioniert.
© Foto: Daimler

Meine Meinung / Unser Urteil

Der Abstandsregeltempomat (ART) arbeitet zufriedenstellend. Allerdings ist man als Fahrer deutlich besser in der Lage, den Bus komfortabel zu fahren. So reagiert der ART auf langsame Fahrzeuge recht unterschiedlich, mal wird die Geschwindigkeit unmerklich gedrosselt, mal fährt der Bus gefühlt zu schnell und zu dicht auf den Vordermann auf, sodass ein nickfreies Fahren der Fahrgäste nicht mehr gewährleistet ist. Das fiel besonders bei langsameren Geschwindigkeiten auf, beispielsweise im Baustellen­bereich. Allerdings erfolgt die automatische Abstands­regelung immer noch deutlich komfortabler, als es beispielsweise in den meisten Pkw der Fall ist – hier dürften die größere Masse und entsprechende Trägheit eine Rolle spielen. Der Tourismo ist beim Beschleunigen kein Sprinter. Gefühlt lässt sich der Bus jede Menge Zeit und tatsächlich steckt dahinter eine Strategie. Übertritt der Fahrer nämlich nicht den Kick-down-Punkt, dann wird stets versucht, so effizient wie möglich anzufahren. So fiel auf, dass relativ früh hochgeschaltet wird, um hohe Drehzahlen zu vermeiden. Das funktioniert gut. Dennoch ist durch die progressive Spreizung des Powershift-Getriebes stets ein optimaler Fahrfluss zu beobachten. Je nach Anforderung bestimmt also der Fahrer am Ende, wie gefahren wird. Der Fahrgastraum ist eine Mischung aus Hausmannskost und Retro-Schick im modernen Gewand. Gerade einmal 48 Fahrgastsitzplätze hatte der 13 Meter lange Testbus an Bord, das ergibt üppig Beinfreiheit. Dazu kommt ein Kofferraumvolumen von knapp über 12 Kubikmetern. Der Testbus hatte nur10,9 Kubikmeter, da ein WC verbaut war, dennoch: „Was für ein Platz-Luxus“, dürfte an dieser Stelle wohl so mancher Doppeldecker-Fahrer ausrufen. Ist das Gepäck verstaut, geht’s nach innen. Eine zeitgemäße LED-Trittstufen beleuchtung weist den Weg. Wer will, kann dazu einen beleuchteten Mercedes Benz-Schriftzug ordern, das macht dann gewaltig Eindruck, beispielsweise bei asiatischen Reise­gruppen, die bekanntermaßen eine Vorliebe für Mercedes Busse haben. Decken und Wände sind zum größten Teil mit Stoff bezogen, das verleiht dem Innenraum einen wohnlichen Charakter. Recht nüchtern sind die balkenförmigen Leuchten an der Decke, sie stehen im krassen Gegensatz zu den Bemühungen anderer Bushersteller, die Beleuchtung nur noch indirekt auszuführen. Aber warum nicht – die Leuchten leuchten hell und besitzen in Nachtlicht-Stellung eine durchaus angenehme Lichtfarbe. Sehr edel wirken die Polster der Sitze. Dabei handelt es sich um die Softline-Bestuhlung mit einem abgesteppten Rautenmuster. Diese Absteppung verleiht den Sitzen einen edlen Touch. Dazu passen auch recht gut die neuen Service-Sets, allerdings wirkten die LED-Lesespots einen Tick zu dunkel. Ansonsten war im Testbus verbindungstechnisch alles verbaut, was Sinn macht. So gibt es einen Coach Media Router mit Einschüben für Sim-Karten. Diesen können die Fahrgäste sowohl nutzen, um damit WLAN zu erhalten, als auch auf auf eigenen Endgeräten ein Bordprogramm verfolgen zu können. USB-Steckdosen an den Seitenwänden sorgen für ausreichend Energie, allerdings benötigt der gangseitig sitzende Fahrgast dann auch ein entsprechend langes USB-Kabel. Hier ist wohl doch eine USB-Lösung zwischen den Sitzen vorzuziehen. Der Testbus hatte zusätzlich pro Doppelsitz eine 230-Volt-Steckdose verbaut. Meine Meinung: Auf die Frage, in welche Kategorie ein Tourismo eingeordnet werden sollte, lässt es sich nicht so einfach antworten. Weder ist es ein Luxusbus noch ein einfacher Bus zum „nur Geldverdienen“. Die inneren Werte sind ausgezeichnet, kaum ein Wettbewerber kommt in Sachen Kraftstrang, Fahrwerk oder Sicherheit an den Tourismo heran. Dafür aber fehlen Komfortmerkmale wie edle Extras vom Schlage eines Glasdaches, ein gehobenes Innenraum-Ambiente oder raffinierte Heizungs-Lösungen. Ihn deswegen aber zum schnöden Arbeitstier zu degradieren, wäre zu kurz gedacht. Der Tourismo ist der Travego 2.0. Es gilt: Weniger ist mehr, dieses Mehr ist dafür umso reichhaltiger. Unser Urteil: Mit dem Tourismo hat nun auch Mercedes-Benz einen Bus im Reisebus-Programm, der die hauseigene Konkurrenz mit Setra nicht zu scheuen braucht. Wer Wert auf den Stern an der Front legt, zugleich aber keine Kompromisse bei Wirtschaftlichkeit, Antrieb und Sicherheit machen will, wird hier fündig. Und zwar ohne Wenn und Aber. Gut, 300.000 Euro sind kein Schnäppchen, doch dafür ist das Geld gut angelegt, und spätestens beim Wiederverkauf hat man gut lachen. Fahren lässt sich dieser Bus – auch mit dem langen Radstand – hervorragend. Das geringe Leergewicht bei zwei Achsen auf 13 Metern Länge lässt viel Raum für hohe Flexibilität beim Einsatz. Der Tourismo ist ein schnörkellöses Fahrzeug, das jedoch garantiert seine Fans unter Fahrern, Unternehmern und Fahrgästen finden wird. (sab)
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