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Französisch unter Strom

24.04.2020 14:04 Uhr | Lesezeit: 10 min
Französisch unter Strom
© Foto: Sascha Böhnke

Der Heuliez GX 337e hat Ende 2019 mit einer spektakulären Reichweiten-Testfahrt für Aufsehen in der Busbranche gesorgt. Auch Kunden, die diesen Bus bereits im Einsatz haben, kommen auf Einsatzlängen bis zu 400 Kilometer. Kann das tatsächlich sein? Die OMNIBUSREVUE wollte es genau wissen und lud zum Supertest nach Berlin.

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Der Heuliez GX 337 e ist kein völlig Unbekannter. Bereits seit einigen Jahren ist der Bushersteller Iveco Bus mit seiner Edelmarke Heuliez elektrisch unterwegs, und zumindest optisch unterscheidet sich das Fahrzeug teils deutlich vom Wettbewerb.

Wie im letzten Jahr auf der Busworld in Brüssel allerdings bekannt wurde, soll sich der Name des Busses ändern in „E-Way“. Warum das geschehen soll, erschließt sich nicht ganz, hat doch Heuliez zumindest bei Fachleuten einen guten Namen. Das mit der optischen Unterscheidung übrigens gilt erst recht, wenn ein Betreiber das sogenannte Metro- oder BRT-Design mit dem Namen „Linium“ ordert. Dann nämlich verschwinden nicht nur die Räder hinter groß­flächigen Verkleidungen, auch der Rest vom üblicherweise kastigen Design bekommt durch geschickte Ummantelungen einen fließenden Touch. Dabei setzen die Franzosen bei der Verkleidung auf Gfk-Materialien, das Gerippe besteht aus Edelstahl. In der Gesamtheit ergibt das einen guten Korrosionsschutz.

Am Heck gibt es eine kleine Scheibe, durch diese sieht man zwar nicht allzu viel, aber sie lässt etwas Licht ins Innere. Das gilt auch für die bodentiefen Seitenscheiben, Ähnliches kennt man auch vom MAN Lion’s City, Heuliez war hier aber der Vorreiter. Der Fahrgastraum selbst wirkt unaufgeregt gestaltet, gesessen wird auf Stühlen aus französischer Produktion mit einer dünnen Polsterung. Aber besser diese als pure Metall- beziehungsweise Kunststoffsitze, die hat der Hersteller auf Wunsch nämlich auch im Angebot. Wie zu erfahren war, gibt es aber durchaus auch Sitze von Kiel. Bekanntlich ist nichts so verschieden konfigurierbar wie ein Stadtbus, bei entsprechenden Stückzahlen gilt meist: Der Kunde ist König.

Als Fahrer sitzt man sehr hoch, das bedeutet eine gute Übersicht auch den Fahrgästen gegenüber
© Foto: Sascha Böhnke

Der Fahrerarbeitsplatz ...

... ist ein typisch französischer Vertreter seiner Art. Der Sitz ist über zwei Stufen im Inneren erreichbar, dadurch hat man als Fahrer eine erhöhte Position. Gut, um das Verkehrsgeschehen im Auge zu behalten, und gut, um mit den Fahrgästen auf Augenhöhe diskutieren zu können, wenn es denn mal sein muss. Das Armaturenbrett selbst wirkt recht grob, aber, und das muss fairerweise geschrieben werden, praktisch. Schalter und Knöpfe sind dort, wo man sie benötigt, vor allem sind es auch nicht zu viele.

In der Mitte befindet sich das Kombiinstrument mit zwei großen Zeigern rechts und links, die zum einen die Geschwindigkeit und zum anderen den Lastzustand beim Beschleunigen beziehungsweise Bremsen anzeigen, also eine Art Powermeter. Dadurch kann man als Fahrer recht einfach sehen, wie gut oder eben schlecht man unterwegs ist. Gerade bei einem batterieelektrischen Bus spielt die Fahrweise eine große Rolle. Neben einer ausführlichen Schulung sollte auch die eigene Fahrweise permanent beobachtet werden. Das Zentral-Display ist ebenfalls frei von unnötigem Schnickschnack, so etwas sollten die Hersteller ruhig öfter verbauen, schließlich gilt: In der Reduzierung liegt die Größe. Auf einen Blick zeigt das Display auch den Ladezustand in Prozent der Batterien an.

Nach einem kurzen Kennenlernen ...

... kann es dann auch schon losgehen, als Fahrer fühlt man sich sofort zu Hause. Die Rundumsicht ist recht gut, die Umgebung wird ganz klassisch mit konventionellen Spiegeln dargestellt. Lediglich bei deren Verpackung, sprich dem Design, hätten die französischen Feingeister etwas mehr Raffinesse walten lassen können. Die etwas plumpen Spiegel­arme wollen nicht so recht zum sonstigen edlen Ambiente passen.

Die Fahrstufe wird dann ganz klassisch per Druckschalter (D-N-R) eingelegt, und schon setzt sich der Bus – natürlich lautlos – in Bewegung. Hier ist es an der Zeit, etwas zur Antriebstechnik zu schreiben. Im Heck, etwa ein knapper Meter hinter der Hinterachse, sitzt ein elektrischer Zentralmotor von BAE. Dieser befindet sich recht weit unten und leistet dauerhaft 120 kW. Das maximale Drehmoment beträgt kurzzeitig 2.134 Nm und dauerhaft 1.016 Nm. Das ist jetzt alles nicht die Welt, doch während der Testfahrt im echten Berliner Innenstadt-Linieneinsatz mit einer zusätzlichen Beladung von drei Tonnen konnte der Testfahrer keine Performance-Einbrüche feststellen. Das Mitschwimmen im Verkehr gelang tadellos, und auch kurzfristige Beschleunigungsarien waren kein Problem.

Von Test-Kollegen war zu hören, dass diese mit der Leistung nicht zufrieden waren, das können wir an dieser Stelle nicht bestätigen, was auch an der recht einfachen Topografie in Berlin liegen kann. Der BAE-Motor treibt dann über eine kurze Kardanwelle eine konventionelle ZF AV 133 an, das ist eine typische Portalachse für Niederflurbusse. Die Übersetzung ist recht lang, bereitete aber in Berlin keine Probleme. Auch die Geräusch­entwicklung hielt sich während der Fahrt in Grenzen, allerdings war der Boden auch recht dick mit Sandsäcken ausgelegt.

Hinter dem Fahrerplatz befindet sich die Elektrik
© Foto: Sascha Böhnke

Seine Energie bezieht der Motor ...

... aus insgesamt acht Batteriepaketen. Sechs sitzen auf dem Dach, zwei im Heck. Insgesamt 360 kWh beträgt deren Kapazität, von denen gibt Heuliez erstaunliche 350 kWh zum Verbrauchen frei. Die Foresee-Batterien mit der in Europa standardmäßigen NMC-Chemie sind für ihre hohen Kapazitäten bekannt. Eine Besonderheit weiterhin: Die Akkus benötigen weder eine aktive Kühlung noch im Winter eine Heizung.

All diese Punkte sorgen dafür, dass die versprochene Reichweite bei 350 Kilometern auch unter ungünstigen Bedingungen liegt. Kunden sollen im Linieneinsatz sogar 400 Kilometer erreicht haben. Alle Achtung! Aber: Und auch das gehört zur Wahrheit, der Streckenverbrauch, also der Energiebedarf pro Kilometer, ist nicht wesentlich besser als bei vergleichbaren Bussen. Der Mercedes-Benz eCitaro schlug sich pro Runde hier besser, kann aber eben auch nicht auf eine derart hohe Batteriekapazität zugreifen, wie es beim Heuliez der Fall ist.

Wie wir der Innenraum geheizt?

Eine durchaus spannende Frage, denn auch hier verliert ein Bus deutlich an Energie und damit Reichweite. Die Heizung bei Elektrofahrzeugen benötigt viel Strom und reduziert die Reichweite oft erheblich. Der Mehrverbrauch respektive Reichweitenverlust hängt dabei von der Außentemperatur, dem Fahrprofil und der Heizungstechnologie (Effizienz) des Fahrzeugs ab. Grundsätzlich gilt, dass Fahrzeuge zwischen zehn und 30 Prozent, im Extremfall bis zu 50 Prozent mehr Energie verbrauchen. Die Reichweite reduziert sich entsprechend. Das permanente Öffnen der Türen treibt den Energiebedarf zusätzlich in die Höhe. Bei Heuliez lassen die Entwickler dem Kunden/Fahrer die Qual der Wahl: Per Kippschalter kann entschieden werden, ob rein elektrisch oder per Diesel-Zuheitzer der Fahrgastraum erwärmt werden soll. Eine durchaus praktikable und vernünftige Lösung.


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Leider konnte während der Testfahrt die Wirksamkeit der Heizung nicht überprüft werden, es war mit zehn Grad zu warm


Leider konnte während ...

... der Testfahrt die Wirksamkeit der Heizung nicht überprüft werden, denn es war schlicht zu warm. Temperaturen um die zehn Grad bei strahlendem Sonnenschein sorgten für Idealbedingungen für den Hersteller. Als Fahrer hat man übrigens keine Möglichkeit, die Temperatur einzustellen, das erfolgt entweder vom Hersteller oder im eigenen Betrieb, hinter dem Fahrerplatz befindet sich der entsprechende Elektronik-Kasten. Einen festen Temperaturwert gibt es ohnehin nicht, temperiert wird stets in einem definierten Temperaturfenster abhängig von den Außenwerten. Unter zahlreichen Sitzen befin­den sich Heizlüfter, diese sollen für eine schnelle Erwärmung sorgen.

Die Batterielebensdauer ...

... ist übrigens mit 2.500 vollen Ladezyklen angegeben. Bei 300 Arbeitstagen pro Jahr hält die Batterie demnach wenigstens 8,3 Jahre mit einem Verlust von dann zehn Prozent. Klar dürfte dann aber auch sein: Ein komplettes Busleben dürften die Akkus nicht durchhalten. Was dann an Kosten auf den Betreiber zukommt, wird zu klären sein. Wahlweise – das gilt auch für eine 18-Meter-Variante, den GX 437 – kann man sich für „Opportunity Charging“ an Haltestellen über einen Top-down-Pantographen entscheiden.

Insgesamt macht der Heuliez GX 337e einen wirklich guten Eindruck. Es ist kein Wunder, dass sich die Pariser Verkehrsbetriebe in großer Zahl für diesen Bus entschieden haben. Bleibt zu hoffen, dass dem Fahrzeug auch bei uns eine faire Chance eingeräumt wird, zu zeigen, was in ihm steckt.

Unser Urteil

Eigentlich ist es schade, dass ein Heuliez hierzulande kaum anzutreffen ist. Denn der Bus, speziell in seinem unübertroffen schicken BRT-Designkleid, macht sowohl in Sachen Aussehen als auch Technik eine gute Figur. Die Reichweite ist wirklich heraus­ragend, allerdings liegt das hauptsächlich an der Kapazität der verbauten Batterien sowie der Tat­sache, dass diese fast komplett genutzt werden kann. Beim Kilometerverbrauch hat ihn der Mercedes eCitaro sogar etwas unterboten. Dennoch ist der GX 337e ein serienreifes Fahrzeug, welches durch zuverlässige und nicht zu teure Komponenten besticht. Der Fahrerplatz ist durchdacht, der Fahrgastraum wirkt auf­geräumt und durch die tiefen Glaselemente auch sehr hell. Vive la France!

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