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Unter Hochspannung

30.01.2019 08:30 Uhr
Unter Hochspannung
© Foto: Daimler

Die Fachwelt schaut mehr als gespannt auf die ersten Auftritte des eCitaro von Mercedes-Benz. OMNIBUSREVUE konnte den batterieelektrischen Bus bereits einen Tag lang selber fahren. Nun ist der deutsche Hersteller nicht der erste, der einen E-Bus fertiggestellt hat, doch bei ihm liegt die Messlatte extrem hoch.

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Wer diesen Bus von außen betrachtet, merkt schnell: Etwas ist im Gegensatz zu den üblichen Mercedes-Benz Citaro anders. Am auffälligsten ist die Front, sie weicht deutlich von der konventionellen Gestaltung ab, Kalotten-Scheinwerfer mit ihren LED-Punktlichtern sitzen mitten in einer dunklen Blende, die zwei lange horizontale Leisten zieren. Das Besondere an diesen Leisten: Sie sind trans­parent und von hinten mit Chrom-Farbe bedampft. Eine weitere Eigenheit ist eine Art „Lippe“, die sich vom Dach in Richtung Frontscheibe nach unten zieht. Sie wie auch die anderen Designelemente der Front wurden in Anlehnung an den „Futurebus“ gestaltet. Also eine Art Symbol für den Aufbruch in die elektrische ÖPNV-Welt. Von der Seite betrachtet, wirkt der eCitaro ein wenig gedrungener als üblicherweise. Das liegt an der Dachrandverkleidung, hinter der sich unter anderem ein Teil der Batterien befindet. Dadurch ist der gesamte Bus um rund 28 Zentimeter auf exakt 3.400 mm gewachsen. Ebenfalls auffällig sind die vergrößerten Radhäuser. Diese wurden in der Breite verlängert, um nun die größere Bereifung (315 statt 275 mm) auf der auf acht Tonnen tragenden Vorderachse aufnehmen zu können. Die Erhöhung des Achsgewichts wurde notwendig, da sich ein großer Teil der Batterien auf dem Dach im Bereich der Vorderachse befindet, was die Achslast entsprechend erhöht.

Als guter Bekannter präsentiert sich der Fahrgastraum, Unterschiede zum konventionell angetriebenen Bus sind nicht erkennbar. Allerdings erfährt der Innenraum derzeit ein Facelift, welches beim eCitaro seinen Anfang nimmt. Dabei geht es in der Hauptsache um die Neugestaltung der Kassettendecke. Hier fallen neue, quer verlaufende Lichtelemente auf, die die bisherige Längs-Beleuchtung vollständig ersetzen. Zudem wurden die Leuchtmittel nun auf LED-Technik umgestellt. Die Lichtleisten besitzen zudem eine Art Doppelfunktion, in ihnen wurden nun auch Lautsprecher untergebracht. Laut Daimler war der Hauptgrund für die neuen Lichtleisten die ECE-Regelung R 107. Diese schreibt unter anderem die Eckdaten für eine Notbeleuchtung vor, die in jedem Fall gewährleistet werden muss. In Sachen Lichtleistung dürfte die neue Beleuchtung mit Sicherheit ihren Zweck erfüllen, wer allerdings eher indirektes Licht und damit ein moderneres Licht-Layout bevorzugt, wird nicht auf seine Kosten kommen. Alles beim Alten bleibt in Sachen Motorturm. Den wird es nämlich auch weiterhin geben. Obwohl die Bezeichnung natürlich nicht mehr stimmt, befinden sich die beiden Antriebsmotoren doch direkt an der Antriebsachse. Hinter der Verkleidung stecken vielmehr ein Batterie Cluster für vier Batterien, der Ladewechselrichter, der Bremswiderstand sowie die Klimatisierung für die beiden letztgenannten Systeme. Dass es auch ohne einen Motorturm geht, verspricht MAN bei seinem Elektrobus, den gibt es allerdings noch nicht. Bekannt ist auch der Fahrerarbeitsplatz. Wer den Citaro kennt und damit zurechtkommt, wird sich auch beim eCitaro auf Anhieb wohlfühlen. Dass es sich um einen E-Bus handelt, wird lediglich bei einem etwas genaueren Blick auf die Instrumente und das Zentraldisplay deutlich. Statt eines Drehzahlmessers sitzt nun rechts ein Powermeter. Das zeigt, ob man gerade beschleunigt, also Strom aus den Batterien entnimmt, ob man segelt, also den Bus einfach rollen lässt, oder ob man rekuperiert, also den Batterien wieder Strom zuführt. Der kleine Zeiger darunter informiert über den Lade­zustand – das war es schon in Sachen Elektro­information. Reicht aber auch, mehr braucht der Fahrer nicht.

Bevor es nun aber losgeht mit dem Fahren, an dieser Stelle noch ein kurzer Überblick zum Antrieb. Statt eines Zentralmotors im Heck, der über eine Kardanwelle die Achse antreibt, verwendet Mercedes-Benz die Elektroportalachse ZF AVE 130. Die Achse ist für Stadtbusse mit einer Maximallast von 13 Tonnen konzipiert. Nahe der beiden Räder arbeiten zwei Elektromotoren mit einer Leistung von jeweils 125 kW/170 PS und einem Drehmoment von zweimal 485 Newtonmetern bei Drehzahlen von bis zu 11.000 Umdrehungen pro Minute. Die E-Maschine der AVE 130 ist als hochdrehender Motor konzipiert. Aufgrund der hohen Leistung durch Drehzahl kann der Motor kleiner dimensioniert werden und bietet so Vorteile bei der Integration der Elektromaschine. Die E-Maschine misst gerade einmal 165 Millimeter in der Länge bei einem Durchschnitt von 300 Millimetern. Laut ZF können durch die hohe Integration in den Radkopf der Achse die identischen Schnittstellen einer konventionellen Antriebsachse realisiert werden. Das ermöglicht eine Gleichteileverwendung der Achsaufhängungsteile wie Lenker, Federträger inklusive Luftfedern und Stoßdämpfer. Die mechanische Anbindung der Achse in den Fahrzeugaufbau ist identisch. Dazu kommt das Thema Gewicht. Die komplette Achseinheit wiegt 1.220 Kilogramm und kann dadurch im Vergleich mit Zentralmotor-Lösungen bis zu einer halben Tonne an Gewicht einsparen.

© Foto: Sascha Böhnke

Unser Urteil

Wie aber fährt sich nun der eCitaro? Gestartet wird der Bus durch Drehen des Zündschlüssels an der bekannten Position links neben dem Fahrer auf der Konsole unter dem Fahrerfenster. Nach gut drei Sekunden ist das System hochgefahren, wofür im Übrigen die beiden konventionellen Starterbatterien links unter dem Fahrer benötigt werden. Diese Akkus erwecken sozusagen das elektrische System zum Leben, außerdem versorgen sie noch einige 24-Volt Systeme, die nicht an den Hochvoltkreis angeschlossen sind, wie die elektrohydraulische Lenkunterstützung, mit Strom. Anschließend betätigt der Fahrer den Startknopf links neben dem Lenkrad. Unter der Fahrstufenanzeige erscheint kurz „START“ und dann das Wort „READY“. Zusätzlich erscheinen drei grüne Balken. Diese zeigen an, ob sämtliche Batterien in Bereitschaft gegangen sind. Als Fahrer erkennt man also nicht mehr am Drehzahlzeiger und dem Motorengeräusch, dass der Bus abfahrt­bereit ist, sondern am auf null stehenden Powermeter sowie der in Grün erscheinenden „READY“-Meldung. Dann geht es los, und zwar lautlos. Das Fahrzeug lässt sich sanft und ruckfrei beschleunigen, dabei macht es interessanterweise keinen Unterschied, ob der Bus leer oder voll ist, ob man in der Ebene oder an einer Steigung anfährt. Die Elektromotoren liefern nämlich grundsätzlich eine Leistung, die deutlich über dem liegt, was tatsächlich benötigt wird. Entsprechend sorgt Steuersoftware dafür, dass der Bus stets mit der gleichen Leistung beim Anfahren versorgt wird. Wäre das nicht der Fall, wäre die Beschleunigung für die Fahrgäste unerträglich, von einer schädlichen Belastung aller Antriebskomponenten einmal abgesehen. Der einzige Unterschied zwischen dem Anfahren mit wenigen oder vielen Fahrgästen liegt am Strombedarf. Den stellen im gefahrenen Testbus Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtkapazität von 243 kWh zur Verfügung. Die Batterien teilen sich in zehn Module mit jeweils 25 kWh. Die weiter vorn erwähnten vier Batteriemodule gehören zur Grundausstattung, werden also immer verbaut. Je nach Kundenanforderung können auf dem Dach dann noch bis zu sechs weitere Module verbaut werden. Diese 243 kWh sollen dann im schlechtesten Fall eine Reichweite von 150 Kilometern ermöglich, im besten Fall 250 Kilometer. Entscheidend für die Reichweite ist die Gesamteffizienz eines Fahrzeugs. Und dazu gehören immer auch Heizung und Kühlung. Der eCitaro verwendet dabei eine CO2-Wärmepumpe, die in der Lage ist, auch bei Minusgraden noch effektiv zu arbeiten. Insgesamt soll der Energiebedarf 40 Prozent geringer sein als in konventionellen Bussen. Ist der Bus einmal am Rollen, hält ihn so schnell nichts auf, denn die Entwickler haben sich dafür entschieden, ihn beim Loslassen des Fahrpedals „segeln“, also einfach rollen zu lassen. Diese Lösung ist so einfach wie sinnvoll, denn durch vorausschauendes Fahren bleibt die Masse in Bewegung, Energie für ein erneutes Anfahren kann gespart werden. Soll die Geschwindigkeit reduziert werden, wird der E-Bremshebel betätigt. Damit wird zum einen die Rekuperation eingeleitet – die E-Maschine wird also dabei vom Elektromotor zum Generator und lädt die Batterien. Zum anderen wandert ein Teil der Bremsenergie in einen elektrischen Bremswiderstand mit einer Leistung von bis zu 90 kW, die dabei entstehende Wärme wird per Seitenwandheizer dem Fahrgastraum zugeführt. Sollte es partout Unternehmen oder Fahrer geben, die lieber sofort nach dem Loslassen des Fahrpedals in den Rekuperationsmodus gehen wollen, ist auch das kein Problem: Dazu wird der E-Bremshebel einfach in der Stufe eins festgelegt. Auch das Anhalten gestaltet sich unproblematisch. Die Fußbremse wird eigentlich nur für die letzten drei km/h benötigt, das ist Spitze. Unser Urteil: Die Idee hinter diesem batterieelektrischen Citaro ist: Das Maximale herausholen, um eine maximale Reichweite zu gewährleisten. Dazu ein Bus, der zwar unauffällig, dafür aber hochfunktionell daherkommt. Das alles ist gelungen. Zwar bedeutet eine Batteriekapazität von derzeit 243 kWh, dass nur ein Teil der Linieneinsätze abgedeckt werden kann, doch neue Akkus sind in Sichtweite. Das Funktions- und Bedienkonzept wirkt überzeugend. Fahren lässt sich der eCitaro problemlos, großer Wert wurde auf absolute Praxistauglichkeit gelegt. Natürlich darf der hohe Anschaffungspreis nicht außer Acht gelassen werden. Doch wer bereits heute auf E-Mobilität im straßengebundenen ÖPNV setzt, hat nun einen weiteren, mehr als ernst zu nehmenden Mitstreiter bekommen. (sab)
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