Zum ersten Mal konnte die OMNIBUSREVUE den neuen Mercedes-Benz Tourismo auf der Straße kennenlernen. Gleich mehrere Tage und Nächte musste sich der Stückzahlenbringer beweisen, bei strahlendem Sonnenschein genauso wie bei nächtlichem Dauerregen. Ein Fahrbericht.
Mercedes-Benz hat eingeladen Zum ersten Mal hat die Fachpresse die Möglichkeit, den neuen Tourismo ausführlich kennenzulernen. Der Testredakteur der OMNIBUSREVUE nutzte zusätzlich die Gelegenheit, das Fahrzeug im Rahmen einer Überführung vom kroatischen Split nach München auch in der Nacht und bei schlechten Wetterbedingungen zu erleben. Und das waren sie, die gefahrenen Busse: Mit vier Modellen in drei Längen (Zwei- und Dreiachser) von 12,3 m bis 14,0 m deckt der Hochdecker nahezu alle Ansprüche ab. Im Heck arbeitet entweder der OM 936 mit einem Hubraum von 7,7 Litern und einem maximalen Drehmoment von 1.400 Nm oder der große OM 470 mit einem Hubraum von 10,6 Litern und 2.100 bzw. 2.200 Nm beim längsten Tourismo RHD L. Serienmäßig wird der Tourismo in Deutschland mit dem hauseigenen manuellen Schaltgetriebe angeboten, darüber hinaus gibt es das automatisierte Schaltgetriebe Powershift GO 250-8. Doch genug der technischen Daten, los geht es mit der Fahrt.
Der Tourismo überzeugt Kroatien zählt schon seit Jahren zu den angesagten Busreise-Zielen. Darauf haben sich auch längst Hotels und die touristischen Hotspots eingerichtet. Gelegentlich wird es beim Parken am Hotel ein wenig eng und zahlreiche Passstraßen erfordern ein Mindestmaß an Fahrzeugbeherrschung. Gut, wenn man dann ein Fahrzeug führt, welches sich in Sachen Übersichtlichkeit keine Schwächen leistet. So wie der Tourismo. Der Fahrerarbeitsplatz ist vorbildlich eingerichtet, sämtliche der zu Bediengruppen zusammengefassten Schalter sind gut einseh- und erreichbar. So kennt man das bereits von den Setra-Bussen der 500er Reihe. Das Multimediacenter bietet ein hohes Maß an Funktionalität, auch wenn es nicht ganz an die moderne Bedienerfreundlichkeit beispielsweise der neuesten Neoplan-Reisebusgeneration heranreicht. So ist das Abspielen eigener, auf dem Smartphone gespeicherter Musik immer noch eine kleine Herausforderung und beim Navigationsgerät vermisst man die funktionelle Einfachheit moderner Touch-Lösungen, wie sie beispielsweise von TomTom oder Google angeboten werden. Dafür aber ist der Fahrerarbeitsplatz kompromisslos auf die tägliche, teils harte und stressige Arbeit ausgerichtet, wozu nicht nur eine gute Ergonomie zählt (abgesehen von der viel zu tiefen Position des Radios beim Basis-Cockpit), sondern auch Faktoren wie Lautstärke. Hier kann der neue Tourismo die volle Punktzahl einfahren.
Denn der Bus wurde strömungstechnisch kompromisslos optimiert, was sich zum einen im sensationell guten Windwiderstandsbeiwert von cW=0,33 niederschlägt und auf der anderen Seite unter anderem durch neu konstruierte Spiegelarme zu einer Halbierung der Innenraumlautstärke vorn um etwa 5 dbA führt, was effektiv der Halbierung der Lautstärke entspricht. Und ja, man hört es oder eben nicht. Die berüchtigten Fallwinde oberhalb von Zadar beispielsweise umtosen den Bus immer wieder, doch das Geräuschniveau bleibt niedrig. Aber vorerst zurück zum engen Hotelparkplatz. Beim Rangieren kommt es auf eine gute Übersichtlichkeit an. Dank beidseitiger, serienmäßig vorhandener Rampenspiegeln, was im Übrigen einmalig unter den Busherstellern sein dürfte, ist jeder Bereich vor dem Bus perfekt einsehbar. Hinten hilft eine sehr weit oben angebrachte Rückfahrkamera. Sollte es draußen dunkel sein, besitzt der Tourismo vor den Hinterrädern seitliche Strahler – eine durchaus praktische Angelegenheit. Wie nützlich Rückfahr-Helfer übrigens sind, merkt man erst, wenn sie komplett fehlen, so wie beim gefahrenen Grundmodell, dem 12-Meter-Tourismo mit dem kleinsten Motor. In solch einem direkten Vergleich bekommt man erst einmal mit, wie sehr Assistenten die Arbeit erleichtern. Die kroatische Küstenstraße ist für Touristen wie für Busfahrer gleichermaßen ein nie enden wollendes Schauspiel. Und so etwas lässt sich am besten genießen, wenn keine Unstimmigkeiten die Urlaubsfahrt beeinträchtigen. Das gilt auch für den Fahrgastraum. Der gefällt nämlich durch seine unaufgeregte, schlichte Eleganz. Bereits das Platz nehmen auf den hauseigenen Sitzen mit gestepptem Rautenmuster-Sitzbezug ist eine optische und später auch komfortable Freude. Neu ist die Bordküche. Sie sieht gut aus, entspricht den gängigen Sterne Kriterien und muss sich im nächsten Jahr im Rahmen des OMNIBUSREVUE Supertests dann auch in der Praxis beweisen. Was sonst noch in Sachen Fahrgastkomfort auffiel: Auch hinten herrscht eine Ruhe, die man fast nur in einem Doppeldecker vermuten würde.
Der Fahrer kann sich während der Fahrt auf der kurvigen Küstenstraße voll auf den Verkehr konzentrieren. Dank automatisiertem Schaltgetriebe und Abstandsregeltempomaten kann er sich voll und ganz dem widmen, worauf es ankommt: dem sicheren Lenken. Gut, automatisch Schalten funktioniert nur gegen Aufpreis, doch auch das manuelle Schaltgetriebe lässt sich dank Joystick-Schaltung perfekt bedienen. Gelegentlich meldet sich ABA bzw. AEBS, nämlich dann, wenn sich eine Leitplanke in einer stärker gekrümmten Linkskurve befindet, der Fahrer aber seine Geschwindigkeit nicht herabsetzen muss. Dann gibt es ein optisches und ein unüberhörbares akustisches Signal. Aber lieber einmal zu früh gewarnt, als im echten Notfall nicht reagiert. Einer der gefahrenen Busse hatte bereits das neue, 2018 verfügbare Notbremssystem ABA 4 verbaut. Damit werden auch Fußgänger erkannt. Der Unterschied zu ABA 3: Bei einem Fußgänger erfolgt keine Vollbremsung, sondern es finden nur eine Warnung und eine Teilbremsung statt, die den Fahrer soweit sensibilisieren soll, dass er selbstständig entscheiden kann, ob er bremsen oder ausweichen will.
Ein großer Wurf
Es wird Nacht auf der Autobahn. Gut, wenn man dann als Fahrer ausgeruht ist. Doch nicht immer ist das der Fall, dann ist es nützlich, wenn Assistenzsysteme die eigene Müdigkeit erkennen und den Fahrer dezent, aber bestimmt auf eine Pause hinweisen. Dazu hat Mercedes-Benz seinen Aufmerksamkeits-Assistenten weiter optimiert. Insbesondere bei ruckhaften Lenkradbewegungen spricht das System an. Gutes Licht ist eine Grundvoraussetzung für ein sicheres Fahren bei Nacht. Die optionalen Bi Xenon-Scheinwerfer sollten in keiner Fahrzeugbestellung fehlen, das konventionelle H7-Licht ist besonders bei Nässe viel zu dunkel, wie unser Testfahrer im direkten Vergleich selbst feststellen musste. LED-Scheinwerfer gibt es zwar nicht, doch das ist eher ein Luxus-Problem, Xenon-Licht ist vollkommen ausreichend. Zwischen Zadar und Ljubliana führt der kürzeste und schnellste Weg über eine kurze Landstraßen-Bergetappe. Bei Dunkelheit, Regen und im Herbst mit Straßenlaub eine echte Herausforderung. Da macht sich die gelungene Kraftstrang-Abstimmung positiv bemerkbar. Und ja, ob kleiner Motor mit manuellem Schaltgetriebe oder große Maschine mit Powershift – der Tourismo lässt sich souverän auch über diese teils sehr enge Strecke bewegen. Im direkten Vergleich merkt man höchstens, dass der OM 936 in deutlich höheren Drehzahlbereichen gefahren werden muss. Powershift und OM 470 wurden ja bekanntlich auf Kraftstoffeffizienz getrimmt. Es ist bemerkenswert, in welch niedrigen Drehzahlbereichen der Bus unterwegs ist.
Nach drei Tagen am Steuer mit dem neuen Tourismo zeichnet sich ab, dass Mercedes-Benz ein ganz großer Wurf gelungen ist. So unscheinbar es auch vorfährt, dieses Fahrzeug wird die Erfolgsgeschichte fortsetzen, ohne Wenn und Aber. Nie war technischer Fortschritt so deutlich zu spüren. (sab)
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