Die Liberalisierung des Fernlinienverkehrs hat nicht nur einen Busboom erzeugt. Sie sorgt auch für hohen Informationsbedarf in der Bustouristik. Am Rand der Urlaubsmesse CMT zeigte ein hochkarätiges Expertenpodium, wie die Herausforderungen, vor der das Gewerbe als Folge des Linienverkehrs gestellt wird, als Chance genutzt werden können.
„Mittelständische Busunternehmer haben im Fernlinienverkehr früh eine Chance entdeckt und mischen in diesem Markt kräftig mit“, erklärte Martin Becker auf der Tagung unter dem Thema „Fernbuslinien: Herausforderungen für die Bustouristik“. „Trotzdem beobachtet die Busbranche die neuen Entwicklungen seit der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes mit gemischten Gefühlen“, stellte der gbk-Geschäftsführer fest.
Neben der Gefahr, dass der Reisebus in einem Wettbewerb mit Schnäppchenpreisen ins Billigimage abrutscht, erkannte Becker in der Liberalisierung des Fernlinienverkehrs zwei weitere Herausforderungen: Als Konkurrent der klassischen Bustouristik könnte der Fernlinienbus zum Motor einer Dynamik werden, die letztendlich die Zersplitterung der Branche vorantreibt. Und die vom Gesetzgeber geforderte barrierefreie Mobilität kann für die Bustouristik zum Handicap werden.
Differenzierte Angebote
Jens Hochstetter ist mit seinen Bussen auch im Fernlinienverkehr engagiert. Dabei gelingt es dem Busreiseveranstalter aus Talheim bei Heilbronn nicht nur, neue Zielgruppen für den Bus zu begeistern. Er registriert auch bei den Reisebüros ein reges Interesse an seinem Linienangebot.
Vier bis fünf Jahre werde es nach Einschätzung von Hochstetter noch dauern, bis in Deutschland ein flächendeckendes Netz mit Fernbuslinien geknüpft ist. Und mit einem differenzierten Angebot könne die Busbranche bei ihren Kunden punkten. Denn während Geschäftsreisende nach Verkehrsmitteln mit hoher Flexibilität verlangen, suchen junge Verbraucher günstige Angebote. „Für ältere Reisegäste sind vor allem Zuspruch und guter Service wichtig“, so Hochstetter in der Expertenrunde, die von der Fachjournalistin Anne Katrin Wieser moderiert wurde.
„Die Dichte der Linien ist noch ausbaufähig“, betonte Julian Hauck vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen. Denn für den Besuch der Stuttgarter Tagung hat der Geschäftsführer der FahrtenFuchs GmbH aus Berlin keine passende Verbindung gefunden.
Prognosen zur künftigen Umsatzentwicklung hält Hauck zwar für schwierig. „Doch ich glaube an das Wachstums dieses Marktes.“ Als mögliche Weiterentwicklungen des Fernlinienbusses nannte er Nacht- und Expressverbindungen oder Konzertreisen sowie Preissysteme, die nach dem Alter der Kunden differenziert werden und beispielsweise Kinderfahrten anbieten.
In Kombination mit Wochenendpreisen oder einer Citycard ist der Fernlinienbus nach den Erfahrungen von Frank Götze für Städtereisen interessant. Zumal seine Kunden den
komfortablen Sitzabstand moderner Busse und die Aufmerksamkeit geschulter Fahrer schätzen. „Wer entspannt reisen will, steigt lieber in den Bus als in die Bahn“, kommentierte der Bereichsleiter DERTOUR Kurzreisen den Wettbewerb in der Touristik.
Komfort auf allen Ebenen
„Für die Hersteller ist der Fernlinienbus kein neues Thema“, berichtete Heinz Kiess. „In Europa ist der Fernlinienbus mit fünf Sternen sowie einer Zwei-Plus-Eins-Bestuhlung längst Standard“, stellte der Leiter Produktmanagement Fernbusse bei MAN fest. Für die Zukunft rechnet er mit weiteren Steigerungsraten für den Fernlinienbus. Vorausgesetzt, die Anbieter nehmen die wachsenden Ansprüche ihrer Kunden Ernst. „Aus diesem Grund haben wir die Komforttoilette entwickelt“, so Kiess.
Klaus Vollmer schlug in dieselbe Kerbe: Zu einer zeitgemäßen Bustouristik gehört für den Leiter Business & Product Development bei der Lufthansa Systems AS GmbH neben modernem Infotainment auch ein hochwertiges Catering.
Armin Dellnitz räumte Defizite in der Infrastruktur seiner eigenen Kommune ein, die vier Haltestellen für Fernlinienbusse bereit hält. „Ich steige an manchen dieser Haltestellen selbst nicht gerne aus“, bekannte der Geschäftsführer der Stuttgart Marketing GmbH. Dafür stellte er für 2015 „ein großes neues Busterminal auf der Messe“ in Aussicht.
„Der Bustourismus braucht eine kurze Anbindung an die Innenstadt“, stellte Richard Eberhardt im Anschluss an die Expertenrunde fest. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sollten Busbahnhöfe nach Meinung des Präsidenten des Internationalen Bustouristik Verbandes RDA auch mit Rollsteigen und Gepäckwägen ausgerüstet sein. Und seine Erfahrungen in Amerika inspirierten den Konstrukteur Bob Lee zu der Idee, den Bus für ein Zusatzgeschäft zu nutzen: „Im Anhänger kann man damit auch Güter transportieren.“
Am Schluss der zweieinhalbstündigen Veranstaltung bedankte sich Dr. Witgar Weber bei dem kompetenten Podium. „Wir haben heute was geleistet und das Thema Fernlinienbus aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet“, freute sich der WBO-Geschäftsführer.
Bildunterschrift: Armin Dellnitz (v.l.), Klaus Vollmer, Anne Katrin Wieser, Frank Götze, Julian Hauck, Jens Hochstetter und Heinz Kiess diskutierten auf der Urlaubsmesse CMT in Stuttgart über die Zukunftsperspektiven des Busfernlinienverkehrs.