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Urteil: Wann Arbeitgeber das Attest eines Arztes anzweifeln können

15.11.2023 10:21 Uhr | Lesezeit: 2 min
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit Stethoskop
Reicht ein Arbeitnehmer den "gelben Schein" seines Arztes direkt nach seiner Kündigung ein, darf der Arbeitgeber misstrauisch werden. Der Angestellte riskiert jedenfalls seine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
© Foto: stockfotos-mg/Zoonar/picture-alliance

Auch wenn ein Arbeitnehmer erkrankt ist, zahlt der Arbeitgeber das Gehalt weiter. So regelt es das Entgeltfortzahlungsgesetz. Dass der Mitarbeiter arbeitsunfähig ist, weist er durch Vorlage eines ärztlichen Attests nach, das einen hohen Beweiswert hat. Dieser kann aber erschüttert sein, wie das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung urteilte.

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Den Nachweis, dass der Arbeitnehmer krank ist, wird regelmäßig durch ärztliches Attest erbracht, den sog. „gelben Schein“. Legt der Arbeitnehmer ein solches Attest vor beziehungsweise lässt er sich von seinem Hausarzt krankschreiben, kommt der Bestätigung des Arztes ein hoher Beweiswert zu. "Wenn der Arbeitgeber meint, die Erkrankung sei nur vorgetäuscht, muss er ganz konkrete Anhaltspunkte darlegen, die diesen Beweiswert erschüttern“, so Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott vom Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte (VDAA).

Die Vorgaben der Rechtsprechung zur Annahme einer Erschütterung sind hoch: Die bloße Behauptung des Arbeitgebers, er halte das Attest für falsch, reicht nicht aus: Arbeitsunfähig heißt zudem nicht, dass der Arbeitnehmer zuhause das Bett hüten muss. „Was ich während der Krankheit machen darf, hängt letztlich von der Entscheidung des Arztes ab“, so Fuhlrott. „Ich darf mich nicht genesungswidrig verhalten. Je nach Krankheitsbild kann also ein Spaziergang oder selbst ein Friseurbesuch zulässig sein“, ergänzt der Arbeitsrechtler.

Bundesarbeitsgericht: Gesamtumstände können Beweiswert erschüttern

Bereits vor zwei Jahren hatte das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 8.9.21, Az.: 5 AZR 149/21) zudem entschieden, dass sich "Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung (...) daraus ergeben (...), dass eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt".

„Wer also zusammen mit seiner Kündigung ein Attest einreicht, riskiert damit die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Er muss gegenüber seinem Arbeitgeber und notfalls auch vor dem Arbeitsgericht in einem solchen Fall genau darlegen können, dass er 'wirklich' krank war“, erläutert Fuhlrott. Im Einzelfall müsse in solchen Konstellationen der behandelnde Arzt als Zeuge aussagen.

Erschütterung des Beweiswerts bei Verstoß gegen ärztliche Vorgaben  

In einer aktuellen Entscheidung, die das Bundesarbeitsgericht nunmehr veröffentlicht hat (Urt. v. 28.6.2023, Az.: 5 AZR 335/22), setzen die höchsten deutschen Arbeitsrichter diese Rechtsprechung weiter fort: Danach kann eine Erschütterung des Beweiswerts auch dann angenommen werden, wenn der behandelnde Arzt bei der Ausstellung des Attests gegen die anerkannten medizinischen Richtlinien verstößt. Diese sind für Krankenkassen, Versicherte und Kassenärzte in der sogenannten. Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie genannt. Diese regelt etwa, wann ein ärztliches Attest ausgestellt werden darf und was der Arzt dabei zu beachten hat. 

„Ist das Attest etwa ohne Untersuchung durch den Arzt ausgestellt worden oder weicht die Dauer der Krankschreibung von üblichen Längen ab, kann dies den Beweiswert erschüttern“, fasst Arbeitsrechtler Fuhlrott die Entscheidung zusammen.

Maßgeblich bleibe aber immer der Einzelfall, so die Arbeitsrichter in ihrer aktuellen Entscheidung: Damit sind stets alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. „Wer am Vortag der Krankschreibung seinen Schreibtisch aufräumt oder im Kündigungsschreiben bereits erkennen lässt, dass er bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr im Betrieb erscheinen wird, muss ebenfalls damit rechnen, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlung einbehält“, sagt der Arbeitsrechtler.

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