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Telematik im Fahrbetrieb: Risiken und Nebenwirkungen sind komplexer

24.05.2023 12:45 Uhr | Lesezeit: 5 min
Telematik-Böcker
"Telematik und Datenschutz dürfen kein Widerspruch mehr sein", meint Geotab-Vice-President Klaus Böckers. Tatsächlich ist und bleibt der "Widerspruch" eine Sache der Perspektive. Mit "Incentives" und "Gamification-Elementen" sollen (zunächst) Fahrer für die Überwachung ihrer Person im Fahrbetrieb überzeugt und gewonnen werden. Was bietet sich wohl nachher im Zeitalter des autonomen Fahrens für die Fahrgäste im ÖPNV an - aus Sicherheitsgründen?
© Foto: iStock/gorodenkoff/Parradee Kietsirikul

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) feiert am 25. Mai ihr 5-jähriges „Bestehen“. Das hat Klaus Böckers, Vice-Präsident bei Geotab, zum Anlass genommen, mal ein bisschen Werbung für die Erhebung persönlicher Daten im Fahrbetrieb via „Telematik-Lösungen“ zu machen.

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Geotab bietet vernetzte Transportlösungen an und hat Kunden in 150 Ländern weltweit. Entsprechend erfahren ist man im Unternehmen auch in Bezug auf Flottenmanager und die Herausforderungen, denen sich diese gegenübersehen, wenn sie bei der Datenerhebung nicht gegen Persönlichkeitsrechte ihrer Fahrer verstoßen wollen. Diese Gefahr bestehe beispielsweise, wenn neue Formen des Fahrerrisiko-Managements in einem Unternehmen eingeführt werden, betont Böckers.

„Telematik macht Flotten effizienter, erleichtert die Verwaltung und kann für mehr Fahrersicherheit sorgen.“ Wichtig dabei sei, dass Flottenmanager ein umfassendes Verständnis für die Daten entwickeln, die sie intern oder extern erfassen und verarbeiten. Laut Böckers sollten insbesondere die folgenden Fragen als Richtschnur herangezogen – und sowohl vollständig als auch abgesichert beantwortet werden können:

  1. Welche Daten liegen vor?
  2. Zu welchen Zwecken werden die Daten genutzt?
  3. Wo werden die Daten gespeichert?
  4. Wer hat Zugriff auf die Daten?
  5. Wie wird der Zugriff auf die Daten kontrolliert?
  6. Welche Maßnahmen werden zum Schutz der Daten ergriffen?

Gerade in Sachen Fahrerrisiko-Management sollten Unternehmen gewissenhaft jeden Einzelfall prüfen. Beliebt sei hier beispielsweise der Einsatz von Dashcam-Lösungen. „Die rechtliche Situation von Dashcams ist in Deutschland recht komplex“, betont Böckers. „Es ist in Deutschland nicht erlaubt, Personen ohne ihre Einwilligung zu filmen, aber der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Dashcam-Aufnahmen in Einzelfällen in Unfallhaftpflichtprozessen als Beweismittle Verwertung finden können.“ Eine individuelle Güterabwägung habe daher zwingend stattzufinden, wenn Dashcams eingesetzt werden sollen. Die Erhebung, Speicherung und Verwertung von Aufnahmen muss klar geregelt, begründet und dokumentiert werden. „Juristen des ADAC sprechen sich beispielsweise für die Verwertbarkeit kurzer, anlassbezogener Aufnahmen von Unfällen aus. Von anlasslosen, langfristigen Aufzeichnungen raten sie jedoch ab. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Bundesrepublik Deutschland.“ Unternehmen sollten sich vor einem geplanten Einsatz unbedingt über die Situation in anderen Staaten informieren, so Böckers.

„Bei Lösungen, die die Fahrer filmen, ist deren Einverständnis erforderlich.“ Wichtig: eine zu allgemein gehaltene Einwilligung zur Datenverarbeitung reicht nicht aus, um von einem echten Einverständnis ausgehen zu können – selbst wenn der Fahrer ein solches gegeben hat. „Unternehmen sollten den direkten Dialog mit den Fahrern suchen“ – und dabei nicht nur, deren Einverständnis im Auge haben, sondern auch dem Informationsbedürfnis der Fahrer entgegenzukommen und Befürchtungen und Unsicherheiten ernst zu nehmen. Von mehr Sicherheit in der Fahrerkabine profitierten schließlich am Ende alle Beteiligten, meint Böckers.

„Compliance als Chance verstehen“

Die Erfüllung der DSGVO könne sogar eine Chance sein, um die Zusammenarbeit zwischen Flottenmanagern und Fahrern, deren Gewerkschaften oder auch Betriebsräten zu stärken. „Wenn Flottenmanager die Einwilligung zur Datenerfassung von Fahrern einholen, ist es ein Muss, detailliert zu erläutern, welche und wie Daten verarbeitet, wie sie genutzt werden und welche Vorteile sich daraus für das Unternehmen und die Fahrer ergeben“, rät Böckers und empfiehlt, Fahrern „über Incentives oder Gamification-Elemente“ Anreize zu geben, um Daten mit Fuhrparkmanagern zu teilen – etwa über Fahrertabellen für CO2-armes Fahren. „So kann etwa die Entwicklung eines Fahrer-Berichtsbogenprogramms mit der Zustimmung der Fahrer klare Vorteile für Flottenmanager bieten, die basierend auf diesen Daten beispielsweise die Effizienz der eigenen Flotte steigern können.“

Im Einzelnen bedeute das, dass Flottenmanager Telematik-Lösungen nutzen können, um zu zeigen, „dass sie sich der Bedeutung einer verantwortungsvollen Daten-Governance bewusst sind“. Böcker versäumt nicht, darauf hinzuweisen, dass Telematik zu einer Verbesserung der Effizienz des Flottenbetriebs führe, das Umweltbewusstsein stärke und „vor allem die Erhöhung der öffentlichen Sicherheit sowie der Fahrersicherheit“ zum Ziel hat.

Zukunft im ÖPNV: Sparen und mit persönlichen Daten zahlen?

Viele gute Gründe, zugegeben. Wenn da nicht der Gedanke wäre, dass es jede Form von Überwachung einen Preis hat, den der Überwacher nicht zahlt – wohl aber der Überwachte. Der sich der Tragweite seiner „Einwilligungen“ zumeist nicht bewusst ist. Insbesondere erscheinen die von Böcker empfohlenen „Incentives“ und „Gamification-Elemente“ schnell wie Bestechungs- und Verführungsinstrumente, um Bedenken und Kritikpunkte (wenn auch nur) Einzelner einfach wegzuwischen. Der Gedanke, dass vor allem „Belohnung“ und „Spielspaß“ beim Teilen persönlicher Daten leicht zu versteckten Täuschungen geraten können, ist nicht von der Hand zu weisen. Dem Fahrermangel dürfte dergleichen auch wenig entgegenwirken – muss der Überwachte doch auf der Kehrseite der Medaille mit dem Gegenteil von „Incentives“ rechnen, wenn die Überwachung in welcher Form auch immer Hinweise darauf liefert, dass er sich „nicht gut genug“ verhält - oder gar unvermeidbar Informationen von sich preisgibt, die "früher" schlicht und ergreifend privat blieben. Künstliche Intelligenz macht die Auswertung von so manchem möglich, und "Telematik" birgt diesbezüglich enormes Entwicklungspotenzial.

Eine ganz neue Dimension von „Telematik-Lösungen“ geht mit den noch kaum thematisierten Anhängseln des vielfach propagierten autonomen Fahrens einher. Spätestens dann betrifft die Überwachung nicht mehr nur den Fahrer, sondern auch die Fahrgäste – und zwar in einer Dimension, die mit den Kameras, die derzeit bereits im Einsatz sind, nicht verglichen werden können. Auf die Fahrgäste muss jemand ein Auge haben, wenn kein Fahrer mehr an Bord ist. Was, wenn jemand dem Fahrzeug oder seinen Mitfahrern nicht wohlgesonnen ist? Was wird unternommen werden (müssen?), um Fahrzeug und Fahrgäste zu schützen? Werden vor dem Einsteigen Gesichter gescannt, damit eine KI feststellen kann, ob jemand „böse Absichten“ hegt? Darf so einer dann nicht zusteigen? Was wird in den AGB zum Ticket-Erwerb von morgen drinstehen, in Bezug auf „die Erhebung persönlicher Daten“? Und wie attraktiv wird ein ÖPNV sein, der nicht nur ein paar Euro kostet, sondern in erster Linie die Bereitschaft zum „Teilen“ persönlicher Daten? Oder wird „Geld“ als Zahlungsmittel überflüssig, weil persönliche Daten ohnehin sehr viel wertvoller sind?

Da ergeben sich Diskussionen, die derzeit allem Anschein nach kaum bis gar nicht geführt werden – die Technikbegeisterung treibt die Branche scheinbar mehr an. Wir dürfen gespannt sein, wo die Reise hingeht.

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