„Wir brauchen genügend Masse, damit auch die Industrie die erforderlichen Entwicklungsaufwendungen stemmt“, betonte Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zum Auftakt der Jahrestagung des Verbandes am Dienstag, 17. Juni, in Hamburg. Die Jahrestagung findet parallel zum UITP Summit statt.
Damit sich das automatisierte Fahren im ÖPNV durchsetzt, brauche es mehr Fahrzeuge auf den Straßen, erklärte Wortmann, der gleichzeitig betonte: „Verkehrsunternehmen sind keine Automobilhersteller. Wir können keine autonomen Fahrzeuge bauen, das muss die Industrie tun. Wir setzen aber darauf, dass wir eine sehr enge Partnerschaft hinbekommen, mit Politik, Industrie, Verkehrsunternehmen und Verkehrsbünden.“
Laut dem VDV steht der öffentliche Verkehr auf der Straße mit dem autonomen Fahren vor dem nächsten großen Schritt der Transformation. Deutschland müsse „zum Leitmarkt für autonomes Fahren im ÖPNV werden“, sagte Wortmann. Die Bundesregierung müsse dieses Ziel entschlossen angehen.
Zu viele Pilotprojekte und zu wenig Fahrzeuge
Zwar sind bei Verkehrsunternehmen bereits autonom fahrende Fahrzeuge auf den Straßen und dies an vielen Orten in der Republik, aber genau diese Vielzahl und Kleinteiligkeit ist auch ein Problem. „Wir haben zu viele Pilotprojekte und die sind zu klein, daher bieten sie zu wenig Chancen auf Skalierung für die Industrie“, sagte Wortmann. Die Projekte seien zudem nicht so bundesweit koordiniert, wie man sich das als Branche wünschen würde, sagte der VDV-Präsident.
Es bräuchte einen durch öffentliche Mittel unterstützter Markthochlauf, um den Leitmarkt im Land zu etabliere, so der VDV, der auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD verwies, in dem es heißt: „Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren und werden mit den Ländern Modellregionen entwickeln und mitfinanzieren.“
Eine Milliarde Euro als Anschubfinanzierung
Der VDV stellt dafür erstmals konkrete Zahlen für ein Finanzierungskonzept vor. Ingo Wortmann: „Wir wollen uns auf ein bundesweites Projekt konzentrieren. Wir brauchen keine Fördervielfalt, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung der Branche mit Unterstützung der Politik. Dafür benötigen wir zunächst eine Milliarde Euro als Anschubfinanzierung, um die Mehrkosten der Projektphase aufzufangen. Das umfasst Leasingraten für die neuen Fahrzeuge, die Finanzierung von Projektpersonal, den Aufbau der Ladeinfrastruktur und Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hinzu kommen im weiteren Verlauf zwei Milliarden Euro, die wir für den realen Linien- und Linienbedarfs-Betrieb benötigen: für die Integration in gemischte Flotten, den Ausbau von Betriebshöfen und die Einrichtung von Leitstellen. Mit dieser Anschubfinanzierung von drei Milliarden Euro kann die Transformation vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb gelingen.“
VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff ergänzte: „Wir müssen einen neuen Weg gehen, denn ein solches Thema ist auch wegen dem damit verbundenen finanziellen Aufwand nicht von einem Unternehmen allein zu bewältigen, egal wie groß dieses Unternehmen ist. Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen.“ Wolff betonte in diesem Zusammenhang auch: „Wir haben in Deutschland einen guten Rechtsrahmen, die Voraussetzungen sind tatsächlich gut.“ Seit der PBefG-Novelle 2021 wurden über 120 Projekte mit mehr als 1 000 Fahrzeugen umgesetzt – insbesondere in ländlichen Regionen, wo 80 Prozent der Angebote stattfinden.
Hochbahn will autonome Fahrzeuge im Regelbetrieb
Robert Henrich, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hochbahn, betonte: „Es zeichnet sich klar ab, dass autonomes Fahren große Chancen für den ÖPNV der Zukunft bietet. Im Alike-Projekt, das wir gemeinsam mit Volkswagen, Moia, Holon und weiteren Partnern vorantreiben, werden wir wichtige erste Erkenntnisse gewinnen. Aber dabei bleiben wir nicht stehen: die Hochbahn hat ein Zukunftsbild entworfen, wie das fahrerlose Fahren optimal eingesetzt werden kann, um Angebotsqualität und Fahrgastzahlen des ÖPNV weiter zu steigern. Mit diesem Zukunftsbild unterstreichen wir die Rolle Hamburgs als Modellregion Mobilität – und setzen einen Impuls für die ÖPNV-Branche, indem wir es als Whitepaper publizieren. Zudem gehen wir den nächsten Schritt in Richtung einer praktischen Umsetzung und werden in den kommenden Jahren ‚RoboShuttles‘ und ‚Robomidibusse‘ im öffentlichen Linienbetrieb erproben. Denn wir sind überzeugt: Gerade im Linienverkehr kann fahrerloses Fahren perspektivisch einen großen Beitrag zur Mobilitätswende leisten.“
VDV will ein bundesweites Projekt
Sowohl der VDV als auch die Hochbahn haben Positions- und Umsetzungspapiere vorgelegt. Der VDV fordert daher ein bundesweites „Deutschland-Angebot“, mit verbindlichen Standards, Mitfinanzierung durch den Bund und Anreizmodellen der Länder. Ziel ist es laut VDV, 15 Millionen Menschen mit täglich bis zu 6000 zusätzlichen Fahrplanstunden zu versorgen. „Wenn Deutschland beim autonomen Fahren im ÖPNV führend sein will, braucht es nicht nur Pilotprojekte, sondern wirtschaftliche Perspektiven – On-Demand ist dabei der reale Startpunkt“, so Wolff.
„Wir wollen uns auf ein bundesweites Projekt konzentrieren“, sagte dazu Ingo Wortmann. Es brauche ein Projekt, um der Industrie zu signalisieren, dass die Branche ernsthaft skalieren will. Dazu brauche es aber eine Milliarde Euro als Anschubfinanzierung. plus weitere zwei Milliarden Euro, um den Alltagsbetrieb zu stemmen. „Entscheidend, ist das wir Anschubfinanzierung bekommen, auch eine Investition in den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte Wortmann.