Der grandiose Bibliothekssaal im ehemaligen Kloster Bad Schussenried erzählt natürlich viele Geschichten auf einmal: von der Sehnsucht der Menschen nach Wissen, vom Reichtum des Klosters im 18. Jahrhundert und von der Meisterschaft der beiden Künstler, die den Saal gestaltet haben: des Malers Franz Georg Hermann und des Bildhauers Fidelis Sporer. Erschaffen haben sie ein Rokoko-Juwel, in dem die Bilder, Farben und Skulpturen die Bücherregale fast schon zum Schwingen und Vibrieren bringen. Das eindrucksvolle Deckengemälde stellt in vielen Bildern und Szenen dar, wie göttliche Weisheit nach damaliger Vorstellung bis in die Bereiche Wissenschaft, Kultur und Technik hinein ihre Wirkung zeigen kann.
Über Jahrhunderte lebten im Kloster Bad Schussenried die Chorherren des Prämonstratenserordens. Heute ist in dem Gebäude unter anderem ein spannendes Museum untergebracht, das erzählt, was das Klosterleben früher ausmachte und wie das Verhältnis zwischen den Mönchen und der Bevölkerung drumherum war. Ein weiterer Bereich widmet sich der Wallfahrt und der Marienverehrung. Außerdem werden immer wieder interessante Wechselausstellungen gezeigt.
55 barocke Schätze
Der berühmte Bibliothekssaal ist und bleibt aber das Herzstück des Klosters – und eine der Hauptsehenswürdigkeiten an der Oberschwäbischen Barockstraße. Sie verbindet auf 860 Kilometern etwa 55 barocke Sehenswürdigkeiten. Wer gerne auf Augenhöhe in dieser hügeligen, lieblichen Landschaft unterwegs ist, nutzt einen der vielen Radwege für barocke Entdeckungen, etwa den Oberschwaben-Allgäu-Radweg zwischen Aulendorf und Bad Saulgau. Und verbringt ein gemütlich-sportliches Wochenende im Zeitalter des Barock.
Eine Epoche der Gegensätze
Lebensfreude. Todessehnsucht. Vergänglichkeit. Das Leben feiern oder weltlichen Genüssen entsagen? Solche Gegensätze bestimmten die Zeit damals – und bis heute faszinieren auch uns diese Kontraste, die die Menschen damals bewegten. Natürlich konzentriert man sich in Oberschwaben mittlerweile vor allem auf die lebensbejahenden Aspekte der damaligen Zeit, die vom Dreißigjährigen Krieg und den Auseinandersetzungen im Zuge der Reformation schwer gebeutelt war. Lauscht unterwegs an der Oberschwäbischen Barockstraße dem Klang barocker Orgeln, fotografiert Putten und Engel, genießt die regionale Küche und radelt mit E-Antrieb durch diese traditionsreiche Kulturlandschaft mit ihren Kapellen und Alleen. Aber so ein kleines Memento mori hier und da begegnet Reisenden in dieser Region eben auch – und gibt dem Kulturtrip eine gewisse Nachdenklichkeit und Tiefe.
Unterwegs mit einer Gräfin
In Aulendorf, dem Startpunkt der Tour, führt Doris Schenk alias Gräfin Paula Schlossgäste plaudernd durch ihren Alltag in den 1880er-Jahren. Sie drückt sich etwas gestelzt aus, wirkt recht vornehm, erklärt Gästen dann aber doch bereitwillig jedes Detail in „ihrem“ Schloss. Man merkt Doris Schenk an, wie viel Spaß ihr das macht, und bestimmt geht es ihr ähnlich wie vielen Tatort-Kommissarinnen, die ja am Ende doch bis zu einem gewissen Grad für echte Polizistinnen gehalten werden: ein Stück weit ist sie in Aulendorf eben mittlerweile „die Gräfin“. Wer aufmerksam um sich schaut, entdeckt im Schlosshof und im Inneren von Schloss Aulendorf viele Stilepochen. Anfang des 13. Jahrhunderts war das Gebäude mal eine Burg, dann wurde es ein Wohnhaus mit Fachwerk. Der imposante Staffelgiebel übrigens stammt aus dem 16. Jahrhundert, als Aulendorf zu einer spätgotischen Burg wurde.
Spirituelles Leben heute
Später geht’s bei dieser Wochenend-Radtour weiter zum Kloster Sießen in Bad Saulgau. Die Anlage ist faszinierend, weil dort das spirituell-religiöse Leben in Oberschwaben noch lebendig ist. In Sießen leben und wirken Franziskanerinnen und betreiben auch ein kleines Café für Gäste. Mit Schwester Emanuela besuchen Kulturinteressierte diese stille, von Frauen geprägte Welt – die Klosterkirche St. Markus und die Ausstellung mit Arbeiten von Sr. M. Innocentia, die bürgerlich Berta Hummel hieß. Ihre Zeichnungen von niedlichen, stilisierten Kindern wurden zur Grundlage der berühmten Hummelfiguren. Dass Innocentia nicht nur pausbackige Gesichter zeichnete, sondern auch fast schon expressionistische Bilder malte, macht die Ausstellung besonders spannend – und passt zum Thema Kontraste. In Kloster Sießen kann man aber nicht nur Kunst und Kultur erleben, sondern auch im Gästehaus übernachten, Urlaub machen, eine Auszeit nehmen oder am Kursprogramm der Nonnen teilnehmen.
Im Franziskusgarten
Später im Franziskusgarten folgt man vielleicht noch dem Sonnengesang des Franziskus und besucht unterwegs einige der Stationen, die vor wenigen Jahren gestaltet wurden und zur Besinnung einladen: Menschensonnenuhr und Wasserquelle – sehr wohltuend nach einer sommerlichen Radtour. Labyrinth, Weiher, üppig blühender Kräutergarten, summendes Bienenhaus und stiller Bruder Tod. Dort tastet man sich wie blind durch einen dunklen Tunnel und entdeckt wirklich erst nach vielen bangen Schritten ein kleines Licht ganz am Ende des Gangs. Sonne und Schatten, Ende und Neubeginn – im Grunde prägen die Gegensätze des Barock eben auch unser Leben.