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Eine Stadt macht Ernst

15.05.2017 13:56 Uhr
Eine Stadt macht Ernst
© Foto: Sascha Böhnke

Wenn alles nach Plan läuft, dann wird bereits in wenigen Jahren der komplette Busverkehr in und um Eindhoven auf Null-Emissionsbusse umgestellt sein. Und dieser Plan wird aufgehen, daran besteht heute kein Zweifel mehr. Bereits jetzt fahren auf acht Linien ausschließlich Elektrobusse. Seit einem halben Jahr funktioniert das besser als gedacht.

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Es ist eine dieser Fortsetzungs-Geschichten, bei denen man sich denkt: Endlich erfährt man, wie es weiter geht. Angefangen hat alles im Dezember 2016, als VDL den Zuschlag bei einer von Hermes gewonnenen Ausschreibung im Konzessionsgebiet Südost-Brabant in den Niederlanden bekam. 43 elektrisch angetriebene Gelenkbusse wurden bestellt und geliefert. Und nun fahren die VDL Citea SLFA Electric auf acht Innenstadt-Linien in Eindhoven. Dass dabei ausgerechnet Eindhoven die Vorreiterrolle übernommen hat, dürfte kein Zufall sein, denn in dieser Stadt pulsiert der Aufbruch, vibriert eine Energie, die man nicht mehr nur unterbewusst spürt, sondern mit den allgegenwärtigen Elektrobussen wortwörtlich erfahren kann. Obwohl Eindhoven „nur“ die fünftgrößte Stadt der Niederlande ist, gehört sie zu den drei großen Wirtschaftszentren des Landes. Das sind die Ballungsräume: die Flughafen-Schiphol-Amsterdam-Region, das Großraumgebiet um den Hafen in Rotterdam und eben die Innovationsregion Eindhoven bzw. Brainport Region Eindhoven. Die Region Eindhoven zählt 350.000 Einwohner. Die Stadt Eindhoven als Zentrum kommt auf eine Fläche von knapp 89 km² und zählt über 220.000 Einwohner. Das Kerngebiet zeichnet sich durch eine Bevölkerungsdichte von 2.486 Einwohnern pro km² aus. Mit der Entwicklung der Glühbirne im Jahre 1891 durch Philips und den ersten DAF Lastwagen kurz darauf begann das enorme Wachstum der Stadt. Eindhoven wurde in den darauffolgenden Jahren zu einer der führenden Städte für High-Tech, Wissenschaft und Design in Europa. Hinzu kommen die Technische Universität Eindhoven sowie weitere wichtige Schulen, die den Altersdurchschnitt der Stadt deutlich senken. Alles in Allem gute, gewichtige und eben auch nachvollziehbare Gründe, gerade hier den Beweis erbringen zu wollen, dass komplett elektrisch betriebene Buslinien sowohl technisch als auch logistisch und wirtschaftlich machbar sind.

„Bravo“ steht auf den Bussen in Eindhoven. Und die Abkürzung, die für „Brabant vervoert ons“ (Brabant befördert uns) steht, ist sowohl Programm als auch doppeldeutig. Im Berufsverkehr starten die Busse am Hauptbahnhof im Sekundentakt. Der Bereich vor den Bussteigen ist voll, es ist hektisch, aber es ist leiser geworden, denn immerhin acht Linien wurden auf Elektrobusse umgestellt. Ein paar Fakten: 119 Haltestellen werden damit angefahren, die Routenlängen betragen zwischen 4,5 und 11,9 Kilometer, die Fahrzeiten bewegen sich zwischen 14 und 32 Minuten, in Spitzenzeiten fahren bis zu acht Elektrobusse auf einer Linie. Insgesamt sind 33 vollelektrisch betriebene Busse auf Linie unterwegs, die an Werktagen rund 9.000 Kilometer zurücklegen. Einige bringen es auf mehr als 340 km pro Tag. So kam in nur fünf Monaten die beachtliche Gesamtlaufleistung von einer Million Kilometern zusammen. In dieser Zeit reduzierte sich der Ausstoß von Stickstoffoxiden um rund 4,7 Tonnen und der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß um circa 1.000 Tonnen. Diese Zahlen sind insbesondere vor dem Hintergrund beeindruckend, da Eindhoven eine Stadt mit regem Fahrradverkehr ist, der von einer Verbesserung der Luftqualität direkt profitiert. Daneben spielt natürlich auch die Reduzierung der Lärmemission eine wesentliche Rolle. Tatsächlich sind die neuen Elektrobusse derart leise, dass sich überall in der Stadt akustische Warnbaken befinden, die sich bei Annäherung eines Busses automatisch aktivieren. Interessanterweise sind die Citea Electric im Innenraum während der Fahrt weniger leise als erwartet. Ob Lüftergeräusche, Rollgeräusche, Kardanwellengeräusch besonders im Schubbetrieb – oder ein durchdringendes Türschließ-Signal – insgesamt sind diese Fahrzeuge zwar deutlich leiser als ihre dieselgetriebenen Kollegen, aber eben nicht lautlos. Der Punkt der Lautstärkereduzierung für sämtliche Aggregate und Busbestandteile dürfte zu den großen Herausforderungen für Fahrzeughersteller und Zulieferindustrie gehören. Die derzeit größten Profiteure von weniger Lärm befinden sich im Augenblick noch definitiv außerhalb des Busses.

© Foto: Sascha Böhnke

Ladeinfrastruktur, Fuhrparkmanagement und vieles mehr

Plant ein Verkehrsbetrieb, wesentliche Teile seines Diesel-Fuhrparks durch Batterie-Busse zu ersetzen, erfordert das ein umfangreiches Planen in Sachen Ladeinfrastruktur, Fuhrparkmanagement und Fahrplan-/Routenmanagement. Denn einfach die vorhandenen Busse 1:1 zu ersetzen, das funktioniert nicht. Am Beispiel Eindhoven lässt sich das ausgezeichnet nachvollziehen. Um ehemals 33 Dieselbusse durch reine E-Bussse zu ersetzen, benötigt der Busbetreiber Hermes 43 Elektrobusse. Davon sind ebenfalls 33 für den Linieneinsatz vorgesehen – plus sieben Busse, die notwendig sind, um die Zeiten des Nachladens zu kompensieren. Drei Busse stehen als technische Reserve bereit. Insgesamt befinden sich im Hermes-Depot 90 Busse, bereits jetzt also ist gut die Hälfte der dort stationierten Fahrzeuge elektrisch angetrieben. Warum mehr Elektrobusse als Dieselbusse benötigt werden, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Citea SLFAe 18 m im besten Fall zwar deutlich über 100 Kilometer weit mit einer Batterieladung kommt, unter ungünstigsten Vorzeichen (Staus, Hitze, Kälte) aber nur 75 Kilometer. Bei einer Gesamt Tages-Streckenlänge für einen Bus, die von 120 bis 350 Kilometer reichen kann, sind Zwischenladungen notwendig. Nun sind die Infrastrukturvoraussetzungen in Eindhoven recht günstig, das Busdepot befindet sich fast in Sichtweite vom zentralen Busbahnhof, an dem die Linien beginnen bzw. enden. Von hier setzen die nachzuladenden Busse aus, um im Depot innerhalb von 30 Minuten per 300 kW-Schnelllader wieder mit für die nächsten Runden ausreichender Energie versehen zu werden. In dieser Nachladezeit kommt dann bei Bedarf einer der sieben zusätzlichen Busse zum Einsatz. Wer sich ein wenig Zeit nimmt und den Verkehr am zentralen Linienbusbahnhof (Hauptbahnhof) beobachtet, wird ein ständiges Ein- und Aussetzen feststellen können. Das Busdepot musste energietechnisch umfangreich umgerüstet werden. So wurde eine Hochspannungsleitung vom nahen Eisenbahn-Hauptbahnhof zum Depot gelegt, was die Grundvoraussetzung für eine stabile Energieversorgung darstellte. Ein Trafo (Unterwerk) wandelt die Ströme passend um, im Inneren der Bushalle wurden die Ladegeräte aufgebaut – ein echter Hochstrombereich. Dabei handelt es sich um zehn Schnelllader (300 kW) sowie 23 Langsamlader (50 kW). Geladen wird über insgesamt 43 Ladehauben, die per auf den Bussen befindlichen Schunk-Pantographen erreicht werden. Die gesamte Ladeleistung ist im Übrigen auf vier Megawatt ausgelegt, tatsächlich werden in Spitzenlastzeiten aber nur 2,7 Megawatt abgerufen. Das entspricht in etwa der Leistung, die man benötigt, um 2.000 Staubsauger zu betreiben. Der Betriebsablauf gestaltet sich, das lässt sich ein knappes halbes Jahr nach dem Start feststellen, weitgehend reibungslos. Die Fahrzeuge funktionieren tadellos, daran haben sicherlich auch zum Teil die verbauten, bewährten Komponenten ihren Anteil wie beispielsweise der robuste Siemens-Zentralmotor oder die konventionellen Achsen. Wenn es Störungen am Fahrzeug gab, dann waren es laut Hermes solche, die auch bei Dieselbussen auftreten können. Ein wenig anders sah es bei der Ladetechnik aus: Besonders am Anfang hatte man mit Störungen während des Ladevorganges zu kämpfen. Doch hier ist man auf einem guten Weg, um zusammen mit allen Beteiligten die Hard- und Software derart anzupassen, dass es zu möglichst 100 Prozent zu keinen ungewollten Ladeabbrüchen kommt. Denn nichts ist schlimmer als ein Bus mit leeren Akkus am Morgen.
© Foto: Sascha Böhnke

Der konkrete Fall vor Ort

Im konkreten Fall sieht man interessanterweise auch, dass ein Schnellladen direkt an der Strecke, an Wendepunkten beispielsweise, keinen Sinn machen würde, da die meisten dieser Linien hochfrequent befahren werden, zusätzliche Busse wären also auf jeden Fall notwendig. Die Batterien der Fahrzeuge besitzen eine Kapazität von 180 kWh. Tatsächlich genutzt werden davon aber im Sinne einer längeren Lebensdauer, die etwa sieben Jahre betragen dürfte, nur 140 kWh. Wären größere Batterien eine Lösung? Nicht unbedingt, denn dadurch würde sich zwar die Reichweite erhöhen, aber eben auch das Fahrzeuggewicht, was zulasten der Fahrgastkapazität gehen würde. Mehr Busse bedeutet aber auch Mehrkosten. Die fallen zusätzlich zu den ohnehin höheren Fahrzeugkosten an. Rechnet sich das alles eigentlich? Auf den ersten Blick und die TCO bezogen, möglicherweise nicht. Im besten Fall und unter Berücksichtigung der Förderungen hat man ein Nullsummen-Geschäft. Bezieht man allerdings Verbrauchs- und Umweltaspekte in die Gleichung mit ein, geht die Rechnung auf. Zusätzlich will Hermes von steigenden Fahrgastzahlen profitieren. Auch das könnte klappen, bereits heute hat sich die Fahrgastzahl um drei Prozent erhöht. Erreicht wird das zum einen durch einen sehr engen Takt, zum anderen durch eine hohe Fahrzeugqualität und mehr Komfort, wozu beispielsweise eine kostenlose WLAN-Bereitstellung an Bord gehört. Eine wichtige Rolle in Sachen Wirtschaftlichkeit spielt zudem die parallele Nutzung existierender Diesel-Busse für vier Jahre. Die Region Eindhoven hat es sich zum Ziel gesetzt, bis Anfang 2025 den ÖPNV komplett auf Null-Emissions-Antriebe umzustellen. Das übrigens bedeutet nicht zwingend den alleinigen Einsatz von Batterie-Bussen. Hier wird vielmehr ein gesunder Mix unterschiedlicher Antriebskonzepte erwogen. Einfache Lösungen wird es nicht geben. Und der Lernprozess ist noch lange nicht am Ende. Insgesamt jedoch ist es faszinierend, zu sehen, wie reibungslos das Projekt Eindhoven in dieser Dimension funktioniert. Das macht Mut, ist es doch eine der besten Möglichkeiten, aktiv die ÖPNV-Zukunft zu gestalten. (sab)
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