Fast 55 Prozent der rund 35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland haben eine betriebliche Altersvorsorge oder Betriebsrente. Im Umkehrschluss sind das rund 19 Millionen potentiell Betroffene. Als Beispiel für eine finanzielle Schieflage führt die Kanzlei den bekannten Modelleisenbahn-Hersteller Fleischmann an, den Pensionsrückstellungen vor zehn Jahren zu einer bilanziellen Überschuldung brachten. Nach Angaben des Unternehmens waren die verbliebenen 33 Mitarbeitenden damals nicht mehr in der Lage, die Pensionsverpflichtungen von mehr als 600 ehemaligen Mitarbeitenden zu erwirtschaften. Die Geschäftsleitung stellte einen Insolvenzantrag. Im Zuge des Verfahrens wurde für die Sanierung des Unternehmens ein Insolvenzplan erstellt und mit den Gläubigern abgestimmt. Ein wichtiger Bestandteil der Sanierung war, dass der Pensions-Sicherungs-Verein, kurz PSVaG, auf einen Großteil seiner Forderungen verzichtet hat, und die Pensionsverpflichtungen für die ehemaligen Mitarbeitenden des Unternehmens übernahm.
Höhere Kosten für finanzielle Verpflichtungen durch niedrige Zinsen
„Seit Herbst 2023 hat die EZB die Leitzinsen gesenkt. Für Unternehmen ist das von großer Bedeutung, da diese Entwicklung für sie wirtschaftlich von Nachteil sein kann“ erläutert Alexander von Saenger, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Leiter des Arbeitsrechtsbereichs bei der Kanzlei Schultze & Braun. „Durch niedrigere Zinsen steigen die finanziellen Aufwendungen für die finanziellen Verpflichtungen, mit denen Unternehmen die Pensionszusagen für ihre Mitarbeitenden abdecken – eine Entwicklung, die wir bereits aus der Niedrigzinsphase zwischen 2008 und 2022 kennen, auch wenn die Leitzinsen der EZB damals noch weitaus niedriger waren als heute.“
Unternehmen müssen mehr Rückstellungen bilden
Beim sogenannten Rechnungszins, anhand dessen die notwendigen Rückstellungen für die Pensionszusagen berechnet werden, spielt der durchschnittliche Marktzinssatz der vergangenen zehn Geschäftsjahre eine wichtige Rolle. „Der Großteil des Zehnjahres-Zeitraums war geprägt von niedrigen Zinsen, die Leitzinserhöhungen zwischen dem Sommer 2022 und dem Herbst 2023 fallen dabei nur wenig ins Gewicht“, sagt von Saenger. „Das führt dazu, dass die künftigen Verpflichtungen der Unternehmen – etwa für die betriebliche Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden – mit einem niedrigen Zins in die Gegenwart abgezinst werden und die Unternehmen daher mehr Rückstellungen bilden müssen.“
Eine große Herausforderung für die Liquiditätsplanung
Was das konkret bedeutet, lässt sich gut mit dem Beispiel eines mittelständischen Unternehmens verdeutlichen: Wenn ein solches Unternehmen aufgrund der niedrigen Zinsen einige zehn- oder hunderttausend Euro mehr für die Pensionsrückstellungen aufbringen muss, kann das die Liquiditätsplanung vor eine große Herausforderung stellen – gerade angesichts der generell volatilen wirtschaftlichen Entwicklung. Wie beim Modelleisenbahn-Hersteller Fleischmann die Pensionsrückstellungen auch bei anderen Unternehmen zu einer bilanziellen Überschuldung des Unternehmens führen. "Da die Insolvenzantragspflicht seit dem Jahresbeginn 2024 wieder voll greift, ist die Geschäftsleitung dann verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag zu stellen“, sagt von Saenger.
Bei Unternehmen, die bereits seit vielen Jahren eine Alters-, Invaliden- oder Hinterbliebenenversorgung anbieten, kommt laut dem Anwalt eine zusätzliche Herausforderung hinzu. „Es kann es sein, dass das Verhältnis zwischen der Zahl der Betriebsrentner und der Zahl der aktiven Mitarbeitenden über die Jahre in Schieflage gerät – etwa, wenn das Unternehmen sein Geschäftsmodell anpassen oder sich aus anderen Gründen verkleinern muss.
Die aktuelle Situation und den Handlungsbedarf prüfen
Unternehmen sollten das Thema Pensionsverpflichtungen daher generell im Blick haben und ihre aktuelle Situation und den Handlungsbedarf prüfen. „Bei den Pensionsverpflichtungen gilt die Devise: Je früher eine Schieflage erkannt wird, desto größer sind die Chancen, eine Lösung zu finden und die Pensionsverpflichtungen dadurch nicht zur existenziellen Herausforderung werden zu lassen“, fasst von Saenger zusammen.